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Interview mit Zanias: „Wie eine Raupe zum Schmetterling“

Verschobene oder ganz abgesagte Shows, eine Needle-Spiking-Attacke im Berghain, Burnout, die temporäre Flucht aus Deutschland, Ärger mit Spotify und einer Online-Bank: 2021 und 2022 waren keine einfachen Jahre für Alison Lewis alias Zanias. Aktivitäten mit Linea Aspera wurden eingestellt, bei ihrem Label Fleisch Records herrschte monatelang Release-Flaute, aber direkt zu Jahresbeginn schließlich die Ankündigung eines neuen Albums – und dann wurde alles viel besser.

Mit Chrysalis zeigt sich die in Berlin lebende Australierin von ihrer verletzlichen Seite, lyrisch und musikalisch. Zarte Melodien, elektronisches Zirpen, flirrende Sounds, dezent gesetzte Beats: Acht schillernde neue Songs will Alison auf die Bühne zu bringen. Als Headliner des MUK.E-Festivals sind sie und ihre Live-Musikerin Neu-Romancer (Laura Bailey) schon am späten Nachmittag im Dortmunder FZW. Make-Up-Artistin Eavan Derbyshire macht die beiden noch schöner, es gibt ein Gläschen Rotwein, mit Polaroid-Künstlerin Julia Beyer werden Details für eine anstehende Fotosession besprochen. Und VOLT drängelt sich auch noch dazwischen, um mit dem charismatischen Multitalent ein Interview zu führen.

Heute ist dein dritter Auftritt auf dieser Tour-Etappe. Wie waren die ersten Shows?

Ein großer Spaß. Alles fühlt sich gerade ein bisschen wie eine Fortsetzung der Frühsommer-Gigs an. Nach dem Wave-Gotik-Treffen und unserem Trip nach Südamerika machten wir eine kurze Pause; es ist aber ein verschwommenes Ganzes, mit vielen fantastischen Auftritten und einem tollen Publikum. Berlin war jetzt ein super Anfang, weil ich von Freunden umgeben war. Das SO36 war für uns technisch eine perfekte Location, mit gutem Sound und tollem Licht. Vom FZW sind wir auch sehr beeindruckt.

Wie war es, unter anderem mit Linea Aspera und Zanias beim WGT aufzutreten?

Als ich als 15-Jährige in Malaysia lebte, wo ich tatsächlich das einzige Goth-Kid im Dorf – wenn nicht gar im ganzen Land – war, surfte ich im Netz und schaute mir Fotos vom WGT an. Von all den Leuten, die auf das Gleiche stehen wie ich. Für mich war etwas so weit Entferntes so aufregend, und ich hätte wirklich niemals gedacht, dass ich einmal dort spielen würde. Und jetzt bin ich inklusive Gothic-Pogo-Party bestimmt schon fünfmal aufgetreten.

Die aktuelle Tour führt dich mit Zanias unter anderem nach Georgien, Armenien, Griechenland und Frankreich – in spannende Länder und zu angesagten Veranstaltungsorten. Worauf freust du dich am meisten?

Es ist schwer, sich da zu entscheiden. Ich liebe es, in Griechenland zu spielen und das Land zu besuchen, aber das Khidi in Georgien ist mein absoluter Lieblingsclub. Dort zu spielen ist wie ein wahr gewordener Traum.

Du bist viel unterwegs und lebst schon seit Jahren in Berlin, hast du manchmal Heimweh?

Großes Heimweh. Und mir fällt es schwer, mit der Entfernung zum Meer zu leben. Manchmal bin ich zwar etwas deprimiert, aber was mich an Berlin bindet, ist die Gemeinschaft dort, die Musikgemeinschaft und der Freundeskreis – etwas, das ich noch nie zuvor hatte. Dieses Leben hält mich, trotz des Heimwehs und der Tatsache, dass ich meine Eltern und meine Schwester vermisse.

Apropos Heimatland: Wie berühmt bist du da?

Kaum jemand kennt mich in Australien. Anders in Berlin, wo so viele Leute aus der Szene wohnen. Wenn ich meine Wohnung in Friedrichshain verlasse, treffe ich normalerweise auf jemanden, den ich kenne oder der zumindest mich kennt. In Australien ist es viel entspannter, beispielsweise in den Supermarkt zu gehen. Da kennen die Leute meine Musik nicht, ich habe auch nicht viele Freunde, weil ich nur zwei Jahre dort gelebt habe. Wo meine Eltern jetzt wohnen, habe ich nie gelebt, bin für alle eine Fremde, was sich großartig anfühlt. Völlige Anonymität.

Auf mehreren früheren Zanias-Releases war dein Sound mit harten EBM-Elementen gespickt, was dich auch in dieser Szene bekannt gemacht hat ...

Das ist nur folgerichtig, weil ich einen großen Teil meiner persönlichen Musikgeschichte in der Goth- und EBM-Szene verbracht habe. EBM machte mir beim Auflegen am meisten Spaß. Aber es ist auch ein sehr männliches Genre und stark männerdominiert. Ich empfinde es als großartig, Musik, die keine reine EBM ist, in eine Szene einführen zu können, die manchmal etwas anachronistisch sein kann. Darauf bin ich wirklich sehr stolz. Ich mag den Gedanken, dass ich einem Genre, das sonst so hart und maskulin ist, eine weibliche Note verleihen kann.

Wen magst du denn besonders oder fandest du inspirierend?

Von all den Acts aus dieser Zeit war Skinny Puppy wahrscheinlich mein Favorit. Und natürlich Front Line Assembly – damals, als ich etwa 21, 22 war.

Du bist ein echter Workaholic: Musikerin, DJane, Labelbetreiberin – und erledigst den Großteil deines Business ganz alleine. Wie kompensierst du das? Bist du schon mal an den Punkt gekommen, alles an den Nagel zu hängen?

O ja. Ich habe mehrere Burnout-Zyklen hinter mir. Mittlerweile bin ich aber an einem Punkt angelangt, an dem ich aufgehört habe, mir zu viele Gedanken über Perfektion zu machen. Und ich schütze meine Freizeit und meinen Schlaf sehr. Darauf achte ich besonders und lasse nicht zu, dass irgendetwas diese beiden Dinge beeinträchtigt. Ich weiß jetzt, dass ich, wenn ich von der Tour nach Hause komme, eine Woche brauche, in der ich absolut nichts mache. Ohne schlechtes Gewissen. Meiner Meinung nach sollten das viel mehr Menschen tun, weil es wirklich hilfreich ist. Danach ist man wieder produktiver. Es ist wie Magie. Ich schaffe tatsächlich mehr, bin zufriedener mit mir selbst und habe viel mehr Spaß bei dem, was ich tue. Es hat lange gedauert, bis ich zu dieser Einsicht gekommen bin. Früher war ich oft sehr zerstreut und gestresst.

Chrysalis ist der wissenschaftliche Begriff für die Phase, in der ein Schmetterling sich verpuppt, bevor er Flügel bekommt. Eine Übergangsphase. Ist es deine persönliche Übergangsphase oder bezieht es sich auf deine musikalische Reise, deine akustische Gestaltwandlung mit Zanias?

Auf jeden Fall auf beides. Die letzten Jahre waren eine Zeit des enormen persönlichen Wachstums und der harten Lektionen. Von einer Jugendlichen zu einer Erwachsenen, wie eine Raupe zu einem Schmetterling. Das Album entstand in der Phase, als ich noch im Kokon steckte. Als ich damals nach Australien zurückkehrte, war ich völlig ausgebrannt. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich überhaupt weiter Musik machen kann. Dieser heftige Prozess, den eine Raupe durchläuft – sie löst sich im Grunde auf, bevor sie zu einem Schmetterling heranwächst. Schrecklich. Und so ähnlich habe ich mich in den letzten zwei Jahren gefühlt. Die vielen Dinge, die schief gelaufen sind, die Traumata, die ich erlebt habe. Manchmal dachte ich, dass das Universum versucht, mir den Garaus zu machen. Es war verrückt.

Ich habe so viel durchgemacht und erkannt, dass dieser phrasenhafte Ausdruck „was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ tatsächlich wahr ist. Endlich bin ich im Reinen mit mir und zufrieden mit dem, was ich mache. Besonders in musikalischer Hinsicht. Früher war ich in Bezug auf meine künstlerische Ausrichtung sehr verloren, wusste nicht, was ich wollte. Dieser Sound jetzt, das bin ich. Das bedeutet nicht, dass ich mich nicht weiterentwickeln werde, aber ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass die Dinge eine Konsistenz haben, die es vorher nicht gab.

Was kommt als Nächstes? Wie sieht es beispielsweise mit einem neuen Album von Linea Aspera aus?

Linea Aspera liegt derzeit auf Eis. Es ist etwas zu viel für mich, mehr als ein Projekt zugleich zu machen. Ich werde noch vor Jahresende ein experimentelleres Release herausbringen mit Material der Chrysalis-Sessions. Keine wirklichen Songs, eher Tracks ohne Vocals. Und ich habe auch zwei Tracks auf einer umfangreichen Compilation, die von Curses kuratiert wurde. Sowohl Zanias als auch Neu-Romancer sind mit je zwei Songs darauf vertreten. Der Release ist für Oktober angesetzt. Und ich werde auch das neue Album von Kris Baha auf Fleisch veröffentlichen, da stecke ich gerade sehr viel Arbeit rein. Dazwischen arbeite ich ständig an neuer Musik. Ich habe auch ein anderes Projekt mit jemandem, auf den sich die Leute in der EBM-Szene sehr freuen werden ...

Interview: Catrin Nordwig
Fotos: Julia Beyer, www.juliabeyerphotography.com


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