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Amphi Festival 2019 -
Ein mittelgroßer Ausflugdampfer voller Menschen: kein ungewöhnliches Bild an einem ganz normalen Juliwochenende am Kölner Rheinufer. Flusskreuzfahrten liegen anno 2019 ja angeblich wieder voll im Trend, doch mit der MS Rheinenergie stimmt etwas nicht. Das Schiff legt partout nicht ab, an Deck ertönt keine Schunkelmusik. Rheinischer Sauerbraten wird auch keiner serviert – das alles wirkt bizarr.

An der Reling, dicht an dicht, keine gleichgültig dreinblickenden Senioren in beige- und khakifarbener Freizeitkleidung, stattdessen vorzugsweise schwarzgewandete Menschen jeglichen Lebensalters. Ein Wochenende zu Wasser und an Land, auf der MS Rheinenergie und mitten im Tanzbrunnen. Es war uns tatsächlich ein Fest, das Amphi Festival 2019. (VKR)

amphi 2019 alexander jung 2Amphi Festival 2019, MS Rheinenergie

Samstag

Erst mal die Kapitänsmütze aus der Kajüte holen und das Schiff entern, bitte. Dass es gewittern soll, ist nur eines von vielen Argumenten, die Orbit Stage auf der MS Rheinenergie zu besuchen. Bevor es Schwedisches von Agent Side Grinder zu hören gibt, jetzt erst mal ein Bier – bei diesen Temperaturen ist das dringend nötig. Einmal entspannt den Blick schweifen lassen und sich ganz kurz diesem Gedanken hingeben: „Leute, seid ihr wirklich schon so alt, dass ihr Konzerte im Sitzen verbringen müsst?“ Das Oberdeck ist voll bestuhlt, kaum die Hälfte der erschöpften Schwarzkittel steht zu Konzertbeginn auf.

amphi 2019 alexander jung 5Agent Side Grinder, Orbit Stage

Gesanglich macht sich Emanuel Åström, der nicht mehr ganz so neue Sänger der Band, wirklich nicht schlecht, obwohl die einst so typischen Joy-Division-Vibes beim Amphi-Auftritt vielleicht ein wenig fehlen. Klar ist: Agent Side Grinder machen noch immer wundervolle Musik, doch die Show in Köln wirkt ruhiger als zu Zeiten Kristoffer Grips. Das Konzert entwickelt sich zu einer kleinen Träumstunde – und das ist was Schönes, sofern von Agent Side Grinder auf der Bühne nichts anderes erwartet wird. 

amphi 2019 alexander jung 4Agent Side Grinder, Orbit Stage

Dracula, zum Beispiel! Augenscheinlich fröhlich schlendert Henric de la Cour mit seiner blonden Bühnenkollegin rüber zum Schiff, was vom Sonnendeck aus gut zu beobachten ist. Er macht einen bestens gelaunten Eindruck, so wirkt es zumindest aus der Ferne. Auf dem Oberdeck weiterhin nur sitzende Menschen. Da ist es ja schon wieder, das leichte Unverständnis, weil selbst bei Dracula, einem der Hits des riesigen Schweden, nur wenige wenigstens mal kurz aufstehen. Gefolgt von der Freude darüber, dass es auf dem Hauptdeck vor der Bühne brechend voll ist.

Henric de la Cours Musik funktioniert super im Anschluss an Agent Side Grinder. Seine Auftritte sind immer genau auf den Punkt, so ist es auch diesmal. Düstere, ausgefeilte Melodien, ein Set, zu dem sich träumen, mitsingen und teilweise mitbrüllen lässt, sowie ein authentischer Sänger. Wer auf so was steht, sollte den guten Henric definitiv auf seine Konzert-To-Do-Liste setzen. (VJL)

amphi 2019 alexander jung 3Henric de la Cour, Orbit Stage

Bei schwülen Hochsommertemperaturen ist sicher manchem nach einem Sprung ins kalte, klare Wasser zumute. Im Theater am Tanzbrunnen ist das zwar nicht möglich, doch immerhin steht ein 50-minütiger DIVE in die kühle Klangwelt des Electro- und Industrial-Altmeisters Dirk Ivens an. Das gewohnt minimalistische Bühnensetup – Nebel, Strobo und Megafon – sowie einen Belgier in Bestform, mehr braucht es auch diesmal nicht, um die versammelten Electroheads in kollektives Entzücken zu versetzen. In Ivens Fall kommt hinzu, dass er auf ein scheinbar endloses Repertoire von Hits zurückgreifen kann.

dive live amphi festival 2019 daniela vorndranDIVE, Theater Stage

So werden neben einigen unverzichtbaren DIVE-Klassikern wie Machine Gun Baby, Blood Money und Broken Meat einmal mehr auch alte Klinik-Schmankerl zum Genuss dargeboten (Pain and Pleasure, Moving Hands). Und da der Herr bis heute einen beachtlichen Output vorzuweisen hat, kommt auch das 2017er-Album Underneath mit Far Away, Sacred Skin, Let Me In und Something nicht zu kurz. Rhythmus, Power und nicht zuletzt die grenzwertige Luft im Theater sorgen dafür, dass die meisten Körper schweißgebadet sind. Bei diesem Gig werden die Gehörgänge mal so richtig durchgepustet. 

Sonntag

Erster Act am zweiten Festivaltag auf der kleinsten der drei Amphi-Bühnen – bei diesen Voraussetzungen ist es kein Wunder, dass sich FïX8:SëD8-Mastermind Martin Sane am Vortag nervös die Frage stellt, mit wie vielen Besuchern bei seinem Set wohl zu rechnen sein wird. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass sämtliche Ängste in dieser Hinsicht unbegründet sind. So ist die Orbit Stage nicht nur mehr als gut gefüllt – die Reaktionen auf das astreine Dark-Electro-Set sprechen eine deutliche Sprache: FïX8:SëD8 zählen zu den Acts der Stunde. Das weiß jeder, der sich im Bereich Dark Electro umhört. 

Und trotz der verhältnismäßig frühen Stunde schafft es der brother from another mother von Nivek Ogre (Skinny Puppy) auf hervorragende Weise, seine moderne Interpretation oldschooligen Electrowahnsinns vom Tonträger auf die Bühne zu transferieren. Vieles ist neu: Das Bühnensetting, das spektakuläre Horroroutfit und fünf der insgesamt neun Songs – die Show steht klar im Zeichen des jüngst auf Dependent veröffentlichten Albums Warning Signs. Danach sind nicht nur alle Zuschauer wach, sondern auch in Laune für einen zweiten musikalischen Feiertag, der sich auf der MS RheinEnergie laut und elektronisch fortsetzen wird. (VKP)

Laut und elektronisch bleibt es zweifellos, doch wann legt das Schiff endlich ab? Gehts nach Thoralf Dietrich, dann sofort. Aus der spontan vorgeschlagenen einwöchigen Rheinkreuzfahrt mit Kumpels wird letztlich zwar nichts, aber Jäger 90 drehen von Beginn an auf, machen an Bord der MS Rheinenergie gut 45 Minuten lang mächtig Radau. Es beginnt kurz nach drei Uhr nachmittags, die Crowd ist schon heiß. Zu Recht, denn die Setlist passt zur Temperatur an Deck. Es ist Sonntag, und Sonntag ist Krieg. In diesem Sinne treten Jäger 90 auf.

jaeger 90 live amphi festival 2019 daniela vorndranJäger 90, Orbit Stage

Kompromisse gibt es keine, alles voll auf die Zwölf. „Wir brauchen Eier“, meinte einst Oliver Kahn. An denen mangelt es heute Nachmittag nicht. Wir brauchen kein Feuer, lassen Frontmann Thoralf Dietrich und Drummer Marcel Lüke die aufgeheizte Menge wissen. Wer so brennt wie diese beiden, der benötigt wirklich keine, der ist sich selbst eine Fackel. Mit dem Stiefelblitz geht’s gut geputzt in die Hitz', es wird gerempelt und geschubst – genau so, wie es sich gehört. Ich schwitze und Ich will so sein wie du sind nur zwei von vielen weiteren DAF-konformen Stompern, die so richtig Spaß machen. (VKR)

Schwedenpower hoch zwei! Wobei hoch fünf noch passender wäre, denn neben Sänger Martin Rudefelt steckt Progress-Productions-Macher Torny Gottberg hinter Cryo – und der darf an den beiden brüllend heißen Kölner Festivaltagen sagenhafte fünf Bands seines Labels präsentieren. Die Chance, sich vor einem feierwütigen Publikum in absoluter Bestform zu zeigen, lassen sich, wie schon die Kollegen Agent Side Grinder, Hearts Of Black Science und Henric de la Cour am Vortag an gleicher Stelle, auch Cryo nicht nehmen. Vom ersten Track an sorgen Martin und Torny auf der Bühne für Rabatz und gute Laune. Das Anfang 2019 erschienene, überaus positiv beleumundete Album The Fall Of Man im Gepäck, aus dem gleich fünf Songs zum Einsatz kommen, und ein Backkatalog mit kalter, melodischer EBM. Das ist ein klasse Fundament für eine Dreiviertelstunde feuchtfröhlichen Tanztees mit den beiden Nordmännern. (VKP)

amphi 2019 alexander jung 6Cryo, Orbit Stage

Um 16:10 Uhr gehts in den Tanzbrunnen. Rüber zur Hauptbühne, Landratten bestaunen. Ratten... äh, rappelvoll ist gar kein Ausdruck für den Anblick, der sich einem dort bietet. Gemeint ist nicht nur die Bühne, wo von Mannequins aus Plastik umgebene Menschen gerade ihr Retro-Intro anstimmen, sondern vor allem der Platz davor. Schaufensterpuppen, ein von Kraftwerk geklauter Klassiker, weckt Erinnerungen an die Zeit, der dieses Konzert von Welle: Erdball gewidmet ist. Honey und seine Freunde feiern die 80er – mit einem Feuerwerk aus Coverversionen und allerlei Firlefanz.

Das Intro ist nicht der einzige legale Diebstahl dieses Nachmittags. Kraftwerks Die Roboter, Extrabreits Kleptomanie und Gänsehauts Karl der Käfer erwischt es ebenfalls. Gänsehaut macht sich breit, als Profils Berühren aus den Boxen schallt und dem guten alten Commodore 64 gehuldigt wird. Kurz ists fast wieder so wie früher, als viele Welle:-Erdball-Konzerte elektrisierender waren als heute. Elektrosmog, W.O.L.F. und Telefonsex prägten die guten alten Zeiten. Heute wird Eine neue Zeit von Liederkranz gespielt. In Zeiten, in denen Alf ohne Willie Tanner und Welle: Erdball ohne A.L.F. auskommen muss, gibts einiges zu tun, aber ein bisschen Spaß muss trotzdem sein – es geht voran! (VKR)

amphi 2019 alexander jung 9White Lies, Main Stage

Und die Sonne brennt weiter vom Himmel. Der Platz vor der Bühne füllt sich mit neuen Menschen – erst immerhin ein wenig, dann leider immer weniger. Bei mir sorgt das, wie könnte es anders sein, schon wieder für Unverständnis, denn die britische Indie-Rock-Formation White Lies liefert wie gewohnt eine sehr gute Show ab, und allen Tonfetischisten sei versichert: Es klingt super, der Gesang hört sich an wie auf Platte – weil der Sänger im Gegensatz zu einigen anderen wirklich singen kann. Wer heute motiviert genug ist, sich White Lies anzukucken, wird definitiv nicht enttäuscht.

Die Gruftis, die fernbleiben, um sich wieder mal nur das anzusehen, was sie schon tausendmal zuvor gesehen haben, um hinterher darüber zu meckern, dass überall immer nur dieselben Bands spielen, wären mal besser hergekommen. Ist ein wenig schade für White Lies, ich hätte ihnen einen prall gefüllten Platz vor der Bühne gegönnt, denn bei dem Auftritt der Briten passt einfach alles. (VJL)

amphi 2019 alexander jung 7Project Pitchfork, Main Stage

Zwei Bands, die Urgesteine der Szene sind, und dieser über Jahrzehnte ihren musikalischen Stempel aufgedrückt haben. Beide sind naturgemäß als Co- bzw. Headliner auf der Hauptbühne unterwegs, ernten jedoch ganz unterschiedliche Reaktionen. Wo sich Nitzer Ebb am Samstag, wie bereits nach ihrem Auftritt beim Wave-Gotik-Treffen, aufgrund der housigen (nicht lausigen!) Interpretation ihrer Klassiker einiges an Kritik gefallen lassen müssen, da agieren Project Pitchfork, die Altmeister aus Hamburg, ohne jeglichen Firlefanz und legen einen einstündigen Oldschool-Auftritt allererster Güte hin.

Zunächst durch technische Probleme und stumme Mikrofone etwas beeinträchtigt, bleibt Peter Spilles bestens gelaunt und macht deutlich, dass er einfach Bock hat, den gut zwölftausend Besuchern – notfalls auch akustisch – ordentlich einzuheizen. Von Alpha Omega über Conjure bis hin zu K.N.K.A und Timekiller – die Stimmung ist bestens und kaum ein Fuß steht bei diesem hitgeprägten Set still. Spätestens bei Souls dürfte das Publikum auf dem Tanzbrunnen-Gelände harmonisch vereint sein, denn für wen ist dieser Song nicht irgendwann im Laufe der vergangenen 25 Jahre Einstiegsdroge oder Herzschmerzhymne gewesen?

Aber auch neuere Songs wie Acid Ocean passen auf hervorragende Weise ins Set und verdeutlichen einmal mehr, dass die Dark-Wave-Ikonen noch immer das Potenzial für großartige Songs besitzen. (VKP)

Text: Josie Leopold (VJL), Katja Pfennig (VKP), Kai Reinbold (VKR)
Fotos (Bands, Impressionen): Alexander Jung, Daniela Vorndran
Foto (Crew): Josie Leopold

www.amphi-festival.de

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