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Mitte März ging die Reise für Apoptygma Berzerk jedenfalls ins Ruhrgebiet, wo sie als Headliner des ausverkauften E-tropolis Festivals mehr als 4000 Gäste mit einer erstklassigen Show beglückten. Wir ergriffen die Chance, Stephan Groth ein Stück zu begleiten – zunächst allerdings zurück in der Zeit, in die Frühphase von Apoptygma Berzerk mit dem musikalischen Urknall Soli Deo Gloria.
25 Jahre Soli Deo Gloria – hättest du es anfangs für möglich gehalten, dass Apoptygma Berzerk so lange so erfolgreich sein würden?
Damals war es nur ein Hobby, es ging mir einzig darum, Spaß zu haben und abgefahrene Musik zu machen. Mein Vater ist Musiker, er ging auf Tour und brachte Alben heraus, was für mich sehr inspirierend war. Ich habe Musik immer geliebt, war aber selbst nie ein richtiger "Musiker", ich habe keine klassische Ausbildung oder so. Im Gegensatz zu meinem Bruder Jonas, der sehr begabt ist und weiß, wie man Musik schreibt. Für mich war es eher ein Abenteuer, eine Art, Spaß zu haben. Ich wollte, dass sich daraus eine Karriere entwickelt, weil ich vermeiden wollte, einen normale Job machen zu müssen, weil ich der Ansicht war, dass ein regulärer Job mit zu viel Arbeit verbunden ist und man deswegen keine Zeit mehr hat, sich zu entspannen und Spaß zu haben.
Letztendlich habe ich im Laufe der Jahre viel mehr gearbeitet als alle Leute, die einen normalen Job haben, denn das Musikerdasein ist ein Lebensstil und ein 24-Stunden-Job. Selbst wenn ich schlafe, träume ich von Texten, ich träume von Melodien. Auf eine Art und Weise arbeite ich immer. Aber ich bin mein eigener Chef, ich kann ausschlafen – etwas, das ich liebe. Aber zurück zu der Frage: auch, wenn ich wollte, dass es sich so entwickelt, hatte ich es nicht erwartet. Ich bin sehr privilegiert und sehr glücklich, dass ich so viele Jahre später von meinem Hobby leben und mein Geld mit dem verdienen kann, was mir Spaß macht, wobei ich kreativ sein kann.

Wann hast du gemerkt, dass Apoptygma Berzerk das Potenzial hat, etwas wirklich Großes zu werden?
Das war ja noch vor dem Internet. Wir haben in Norwegen gelebt, wie heute auch, aber da gab es keine Clubhits von uns. Das hat sich alles in Deutschland abgespielt. Wir bekamen ab und zu ein Fax, wodurch wir erfuhren, dass ein Interview ansteht und dass es gut läuft, aber es gab nur wenig Kommunikation. Wir hatten auch keine Freunde hier in Deutschland, wir wussten also nicht, was los war. Deswegen war es ein Schock, als wir unsere ersten Shows in Deutschland spielten und alle Leute die Songs kannten. Das war wirklich eigenartig.
Dass hier Potenzial bestand, habe ich erstmals realisiert, als wir sofort einen Plattenvertrag bekamen – wir hatten nur drei Demos rausgeschickt und sofort den Deal bekommen. Ich erinnere mich genau, wie wir diese Demos verschickten und nicht erwarteten, überhaupt irgendeine Rückmeldung zu erhalten. Wir haben sie nur zum Spaß verschickt und das alles gar nicht richtig ernstgenommen. Frei nach dem Motto „ok, mal sehen, was passiert“. Und dann, als es passierte, hat sich alles verändert und wir wussten, dass es jetzt an der Zeit ist, die Sache ernst zu nehmen! Genau das mache ich seitdem.
Ihr wart Ende 1994 mit Sabotage Q.C.Q.C auf Tour – und habt ihnen die Show gestohlen, obwohl Apoptygma Berzerk der Newcomer war. War euch das bewusst?
Ich erinnere mich gut an diese Tour. Damals war es in Deutschland sehr exotisch, aus Norwegen zu kommen, einfach, weil es keine anderen norwegischen Musiker gab; ein paar Metal-Bands spielen hier, aber ansonsten gab es a-ha und da hörte es auch schon auf. Und selbst die Black-Metal-Bands tourten damals nicht so viel. Es gab natürlich Mayhem, die ihre Shows vor allem in der ehemaligen DDR spielten, aber als wir hier waren, war es wirklich exotisch. Dasselbe geschah einige Jahre später in den USA, als es völlig neu war, einige verrückte Norweger dort zu haben. Das ist nicht mehr so, weil die Welt viel kleiner geworden ist – das Internet ist in vielerlei Hinsicht gut, hat aber auch viel ruiniert.
„Ich hatte einen Vorteil, weil mein Musikstil irgendwie sehr deutsch war.“
Was ist dir noch aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben?
Damals war alles ganz anders. Ich bin in Dänemark geboren und aufgewachsen, also bin ich mit deutschem Fernsehen großgeworden. Wir hatten zum Beispiel das ZDF. So konnte ich die Kinderprogramme und später auch Musiksendungen wie Formel Eins und Peter‘s Pop-Show sehen. Bei all diesen deutschen Musikprogrammen lief viel englisches Zeug und Italo Disco. Als ich noch in Dänemark lebte, hörte ich also viel deutsche Musik und Musik, die zu dieser Zeit in Deutschland beliebt war. So entdeckte ich Depeche Mode, Kraftwerk, Alphaville und Sachen aus der Neuen Deutschen Welle. Die Bands aus dem Ausland, die quasi meine Konkurrenz waren, hatten diesen Hintergrund nicht. Sie hatten also nicht so viel Ahnung davon, sie hatten diese deutsche Popmusik sozusagen nicht im Blut.
Ich hatte also einen Vorteil, weil mein Musikstil irgendwie sehr deutsch war. Aber weil ich in Dänemark und Norwegen lebte, war es trotzdem noch anders. Mit einem anderen Touch, aber immer noch sehr deutsch. Das war also ein Vorteil, den ich sehr früh hatte, erkannte und weiter ausarbeitete. Deshalb ist Deutschland seit langem mein größter Markt. Und als wir damals hier waren und Shows spielten, waren alle sehr nett zu uns und wir fühlten uns, als ob wir hier ein zweites Zuhause hätten. Das ist immer noch so, aber jetzt weniger exklusiv, weil es so viele andere norwegische Bands gibt. Es gibt also eine sehr lange Geschichte und Deutschland war für meine Karriere sehr wichtig.
Woran erinnerst du dich am besten, wenn du auf die Aufnahmen zu Soli Deo Gloria zurückblickst?
Es war mehr wie Experimentieren. Wir hatten nur einen Synthesizer, einen Atari-ST-Computer und einen Sampler, also war ich sehr eingeschränkt in dem, was ich machen konnte. Heute habe ich ein riesiges Studio und eine Unmenge an Synthesizern und Software. Damals waren wir gezwungen, das Beste aus dem zu machen, was wir hatten. Als wir Soli Deo Gloria aufnahmen, haben wir das in einem anderen Studio gemacht, einfach, weil ich kein Studio hatte. Ich hatte ein paar Sachen in meinem Schlafzimmer. Ich ging also in ein Studio, wo es mehr Synthesizer und viele Effekte gab – ich hatte wirklich keine Ahnung davon! Diese ganze Erfahrung war so, als würde man ein Kind in einen Spielzeugladen schicken – so wie „Oh ja, das haben Depeche Mode schon mal gemacht, lass uns das auch tun, aber doppelt so krass!“
„Das haben Depeche Mode schon mal gemacht, lass uns das auch tun, aber doppelt so krass!“
Ihr habt vor wenigen Wochen eine remasterte Version von Soli Deo Gloria veröffentlicht, und nun folgt das dazugehörige Album SDGXXV, für das sich unter anderem Electro- und Industrial-Ikonen wie Clock DVA, Portion Control oder Blackhouse eure Songs vorgenommen haben …
Im Grunde ist es eine 25-Jahr-Feier. Wir sind mit der Prämisse an die Sache gegangen, dass wir Leute einladen wollten, von denen wir zu der Zeit inspiriert worden sind. Zugleich wollten wir aber auch einige andere aufregende Acts mit dabei haben, die die Sachen mit demselben Spirit, demselben Geist angehen, wie beispielsweise Ancient Methods. Ich wünschte, die Szene würde heutzutage noch mehr Acts wie Ancient Methods haben. Denn das ist für mich sehr nah an dem, wie alles begann.
Wir haben also einige alte Helden und auch neue Acts mit ins Boot geholt. Leute, von denen wir glauben, dass sie es genauso machen, wie es sein sollte. Und wir haben uns die Frage gestellt: „Wenn wir jetzt dieses Album aufnehmen würden, wie würde es sich anhören?“ Das hatten wir die ganze Zeit im Hinterkopf, damit es nah am Original bleibt und genau so klingt, wie wir es uns vor 25 Jahren gerne selbst gemacht hätten, wenn wir das Equipment und die Möglichkeiten gehabt und wenn wir die Leute gekannt hätten.
Bands wie Blush Response, Imperial Black Unit oder Ancient Methods setzen heute die Linie von EBM und/oder Oldschool Electro in ihrem ganz eigenen Stil fort; viele von ihnen schrauben auch live auf der Bühne und haben dort sogar teilweise modulare Synthesizer dabei – wirklich beeindruckend zu sehen, was diese Jungspunde da so machen. In einem Interview hast du kürzlich erwähnt, dass du dich auch für modulare Synthesizer interessierst …
Ich habe vor ungefähr vier Jahren damit angefangen. Davor war es ganz anders, denn da war das Digitale das neue coole Ding. Also wollte das jeder so machen. Am Anfang hat das auch geklappt, alles wurde digital gemacht, alle Bands produzieren ihre Musik auf ihrem Computer. Das ist okay, wenn es funktioniert, aber da fehlt einfach etwas. Es fehlt etwas von dem, was wir früher hatten. Alle Bands von Aufnahme + Wiedergabe machen das genau richtig, bleiben dem alten musikalischen Geist treu, haben dabei aber ihren eigenen Ansatz. Das ist total spannend, weil sich Sachen weiterentwickeln müssen. Es muss immer weitergehen, aber dabei sollte man nahe an den musikalischen Wurzeln bleiben.

Wenn man sich allein die Tracklist von SDGXXV anschaut, hat man sofort das Gefühl, dass diese Platte ein in sich geschlossenes perfektes Ganzes ist, das den Bogen von euren musikalischen Wurzeln bis hin zu angesagtem Techno spannt. Bist du mit dem Ergebnis zufrieden?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe das ganze Jahr daran gearbeitet [2018]. Es ist auch kein klassisches Remixalbum, weil wir genau das vermeiden wollten. Es ist eher ein überarbeitetes Abenteuer. Ich habe meine Ideen übermittelt und war in die Entwicklung fast aller Tracks involviert. Die beteiligten Künstler waren über viele Ebenen in das Projekt und dessen Verlauf eingebunden. Wir haben eng zusammengearbeitet, zum Beispiel Michael von Ancient Methods: Ich kann gar nicht mehr genau sagen, wie viele E-Mails wir uns im letzten Jahr gegenseitig geschrieben haben. Ähnlich lief es mit Håvard von Mortiis und Thomas von The Invincible Spirit. Ich bin ein Teil des kompletten Prozesses gewesen und das ist, so denke ich, der Grund, warum die Songs so gut zusammenpassen. Ich wollte, dass alles so klingt, als ob man eine Zeitmaschine betritt und in die Zukunft reist, mein gedanklicher Ansatz von vor 25 Jahren sollte jedoch erhalten bleiben.
Auf SDGXXV haben wir viele ausgefallene Künstler dabei, was in dieser Kombination einzigartig ist. Blackhouse ist dabei, wir haben den Originalsänger von Mayhem [Sven Erik Kristiansen a.k.a. Maniac] dabei – das ist verrückt! Aber es hat wirklich super funktioniert! Wir haben die CD in drei Kapitel aufgeteilt, aber trotzdem kann man sie wie aus einem Guss hören. Es war ein wirklich kompliziertes Projekt.
Du hast gerade Mayhem erwähnt – hast du noch Verbindungen zur Black Metal-Szene?
Oh ja, sehr viele.
…und hast du Lords Of Chaos gesehen?
Ich habe das Buch gelesen. Ich war mit Øystein befreundet, der ja bekanntlich umgebracht wurde. An meinem Geburtstag. Das war ein wirklich sehr seltsamer Teil der norwegischen Musikgeschichte. Aber damals, in Zeiten vor dem Internet, als alles noch Spaß gemacht hat, hat man keine MP3s verschickt. Da hat man Kassetten ausgetauscht. Es war noch diese alte Szene, in der noch jeder Demos aufnahm, die eigenen Cover kopierte und so weiter. Die Metal-Szene war, und ist sie auch heute noch, in Norwegen riesig. Wir haben damals in einer Stadt namens Sarpsborg gewohnt, in der viele Bands gespielt haben. Und dort wohnten auch viele Musiker, mit denen wir uns getroffen haben. Wir wurden akzeptiert, obwohl wir keinen Metal gemacht haben, weil wir etwas machten, was einfach nur völlig abgefuckt war.
In Norwegen gab es kaum elektronische Musik. Als wir angefangen haben, diese Art Musik zu machen, war das total extrem. Und das war und ist genau das, worum es in der Black-Metal-Szene geht: zu dem zu stehen, was man macht – true sein – und extrem sein. Und obwohl es innerhalb der norwegischen Black-Metal-Szene einen starken Konkurrenzkampf gab und noch immer gibt – ich meine, die Leute töten sich gegenseitig! – wurden wir in vielen Kreisen akzeptiert, weil wir, glaube ich, keine Bedrohung darstellten. Wir waren einfach nur diese durchgeknallten Typen.
„Wir machten etwas, was einfach nur völlig abgefuckt war.“
Ihr geht im Herbst wieder auf Europatournee – verlierst du nie die Lust daran, immer wieder live aufzutreten und zum x-ten Mal alle eure Hits zu spielen?
Live zu spielen ist ein Teil des Ganzen. Früher hat man ein Album herausgebracht und ist dann auf Tour gegangen, um das Album zu promoten. Aber das hat sich komplett geändert. Jetzt veröffentlicht man ein Album, um eine Tour zu promoten, weil dort noch Geld zu verdienen ist. Aber nach Deutschland zu kommen und live für Leute zu spielen, die meine Kunst schätzen, macht mir schon viel Spaß. Ich reise sehr gerne und weiß, dass ich sehr privilegiert bin.
Allerdings ist das alles gar nicht so glamourös wie man denkt. Man bekommt nicht viel Schlaf. Wie gestern beispielsweise, bevor wir abgereist sind. Ich hatte in der Nacht zuvor nicht geschlafen, Jonas hat mich um 12 Uhr abgeholt und wir sind zum Flughafen gefahren. Ich habe die ganze Nacht gearbeitet, um alles fertigzubekommen und vorzubereiten. Es ist wirklich harte Arbeit und überhaupt nicht "Sex, Drugs and Rock’n‘Roll". Diejenigen, die in diesem Geschäft Erfolg haben, sind die härtesten Arbeiter. Wie ein Freund von mir, Ronan Harris von VNV Nation. Das ist echt verrückt! Er arbeitet immer, ist stets auf Tour, und trotzdem kann er parallel noch Alben schreiben. Ich weiß nicht, wie er das schafft. Ich hingegen bin nicht gut in Multitasking.
Zu guter Letzt natürlich noch die Frage: Wie sieht es mit einem neuen Album aus?
Bevor wir wieder nach Deutschland kommen gibt es neues Material!
Apoptygma Berzerk live 2019:
15.08. Hannover, Capitol
16.08. Dresden, Strasse E / Reithalle
17.08. Köln, Essigfabrik
18.08. BE-Waregem, W-Festival
23.08. NO-Oslo, Parkteatret
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