Er traut sich was: Seiner Band gab er den Namen eines Wohnwagenmodells aus DDR-Zeiten, ihr Debütalbum nannte er Ausverkauf. Dominic Daub ist der Kopf des 2005 gegründeten Minimal-Wave-Projekts QEK Junior, dessen zweites und bisher jüngstes Album Druschba vor neun Jahren erschienen ist. Es folgten diverse Einzelkonzerte, Festival-Gigs und Support-Shows für namhafte Szene-Acts. Die Kernkrach-Compilation Rekordfahrt Negativ bereicherte QEK Junior Anfang 2019 mit Ich bin raus! Das war nicht der Anfang vom Ende, sondern das Signal für einen Neustart. Der dieser Tage veröffentlichten Vinyl-Neuauflage des Ausverkauf-Debüts von 2009 wird im kommenden Frühjahr das zusammen mit Bandkollege Tim Greiner produzierte dritte QEK-Junior-Album folgen. Es heißt Anomie und erscheint bei Young & Cold Records. Grund genug, sich endlich mal wieder auszutauschen.
Hi Dominic, nachdem ein kleines Virus die Welt verändert hat, ist so manche Floskel zur ernstgemeinten Frage mutiert. Auch diese hier: Wie geht es dir?
Hi Kai, danke der Nachfrage. Trotz Virus, Einschränkungen und dem ganzen Tralala geht es mir gut. Ich denke, den wenigsten Menschen, die das Privileg haben, in Mitteleuropa zu leben, geht es wirklich schlecht. Krankheiten und persönliche Schicksalsschläge klammern wir jetzt einfach mal aus – im Großen und Ganzen haben die Wenigsten wohl Grund zu meckern. Auch wenn das momentan irgendwie anders erscheint.
Für alle, die QEK Junior noch nicht kennen: Warum heißt die Band wie ein Mini-Camper aus DDR-Zeiten?
Ich hatte mir damals so einen winzigen Wohnwagen zugelegt, um auf Festivals zu fahren. Und unsere Musik war eben wie dieser Wohnwagen: minimalistisch, aus der Zeit gefallen, irgendwie strange und vielleicht auch ein bisschen cool.
Das Re-Release eures Debütalbums Ausverkauf ist vor Kurzem auf minzgrünem Vinyl erschienen. Warum eigentlich Minzgrün?
Na ja, Grün war ja schon die prägende Farbe, als wir angefangen haben. Inspiriert war es damals wohl von diesen monochromen Computermonitoren der 80er. Das schlug sich im ersten Logo nieder, das wiederum hat dann das erste Albumcover geprägt. Letztlich war es nur konsequent, den Re-Release des Albums erstmals in grünem Vinyl auf den Markt zu bringen. Passte ins Konzept.
„Vor der Digitalisierung hätten Sektierer wie Reichsbürger einander nie in ihren Filterblasen gefunden.“
Wie seid ihr damals auf den Albumtitel Ausverkauf gekommen?
Nachdem unsere erste EP bei Kernkrach erschienen war, wechselten wir ja zu einem größeren Label mit stärkerem Marketing im Hintergrund. Das hat uns einerseits natürlich einen Popularitätsschub verpasst. Einige Clubs spielten unsere Songs, wir selbst spielten auf größeren Festivals wie dem WGT. Andererseits war es damit kein reines Do-it-yourself-Ding mehr. Dazu passte der selbstironische Ausverkauf-Titel ganz gut.
Und warum ist Koblenz cooler als Berlin? Koblenz, nicht Berlin heißt einer der Songs auf Ausverkauf.
Ist Koblenz cooler? Ich mag die Stadt, aber der Song entstand damals, als ein DJ hier eine Partyreihe machen wollte, die am schwarzen Mainstream komplett vorbeiging. Richtig erfolgreich war er damit nicht und so mussten wir feststellen, dass Koblenz eben doch nicht Berlin, Leipzig oder das Ruhrgebiet ist.
Im Juni habt ihr euch nichtsdestotrotz an einem Benefit-Sampler für Koblenzer Live-Clubs beteiligt. Warum?
Och, das lief über Facebook. Ein lokaler Veranstalter wollte für die paar Clubs in der Stadt, die vor Corona noch Live-Musik im Programm hatten, was Gutes tun. Die Veranstalter haben unter dem für sie immer noch andauernden Lockdown ja massiv zu leiden – sie waren die ersten, die dichtmachen mussten, und wie es aussieht, werden die Live-Clubs als letzte wieder öffnen. Als dann Beiträge für den Soli-Sampler gesucht wurden, haben wir uns gern beworben, um das Projekt zu unterstützen. Dem Herrn Huba, der die Compilation rausbringt, gefiel es. Das war dann auch schon alles.
In den letzten Jahren sah vieles danach aus, als sei das Kapitel QEK Junior nach zwei Alben bereits abgeschlossen. Jetzt arbeitet ihr an eurem dritten Album Anomie. Was hat dich zum Umdenken bewogen?
Oh, so richtig aufgelöst war das Projekt nie. Ich hab immer ein bisschen an Songs gearbeitet. Wir spielten einige Konzerte, hatten auch zwischendurch 'nen Sampler-Beitrag bei Kernkrach. Dazu kam eine Phase mit vielen persönlichen Veränderungen – wie das eben so ist. Ausschlaggebend für den Neustart war letztlich, dass ich bei einigen Konzerten und Festivals viele alte Bekannte getroffen habe, die immer wieder nach der Band fragten.
Beide neuen Veröffentlichungen erscheinen bei Young & Cold Records. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Ich hab einen neuen Song zu Young & Cold geschickt, die fanden den cool – und schon war der Re-Release angebahnt und das neue Album auf dem Weg.
Sind schon alle Songs im Kasten?
Fast, nur einer fehlt noch, aber das wird schon. Wegen Corona und dem ganzen Brimborium haben wir die Veröffentlichung auf das nächste Frühjahr verschoben. Von daher ist das okay, da wir jetzt eh keine Möglichkeit hätten, das Album live zu bewerben.
„Etwas mehr wir statt ich wäre wünschenswert.“
Anomie kommt aus dem Griechischen und beschreibt einen Zustand mangelhafter gesellschaftlicher Integration, normabweichendes Verhalten sozusagen. Du wirkst vergleichsweise gut integriert – warum dieser Albumtitel?
Na ja, Durkheim versteht unter Anomie ja einen Zustand der sozialen Desintegration, der letztlich auf technische Veränderungen und Modernisierung folgt. Das Schwinden alter Struktur- und Ordnungsprinzipien schwächt dann den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das war während der industriellen Revolution so und ich denke, dass die Digitalisierung gerade dasselbe bewirkt. Quasi Anomie 2.0. Die „alten“ prägenden Institutionen wie Parteien, Presse, Rundfunk, Fernsehen und so weiter, aber auch die Wissenschaften werden von einem Teil der Gesellschaft ja infrage gestellt. Andererseits erhalten Leute wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo durch soziale Medien eine Aufmerksamkeit, die früher undenkbar gewesen wäre, weil ihnen die Reichweite gefehlt hätte, um ihren miesen Bullshit zu verbreiten. Vor der Digitalisierung hätten Sektierer wie Reichsbürger einander nie in ihren Filterblasen gefunden. Das Klima in den sozialen Medien wird immer rauer. Die Fähigkeit oder die Bereitschaft zum Diskurs nimmt ab. Die Liste ließe sich unendlich fortführen. Von daher war Anomie schon ein passender Titel für das Album, weil sich einige der Tracks mit dem aktuellen Geschehen auseinandersetzen.
Einer der neuen Songs ist bereits im Oktober letzten Jahres auf Generation Young And Cold Vol. 1 erschienen. Erörterung basaler kapitalistischer Prinzipien in knapp drei Minuten (Jawoll Herr Schmidt) heißt das gute Stück. Oder doch einfach nur Jawoll Herr Schmidt?
Der lange Titel entstand erst, nachdem der Song im Kasten war. Jawoll Herr Schmidt war der Arbeitstitel.
Worum geht’s?
Tatsächlich handelt es sich wohl um minimal arrangierte Kapitalismuskritik in knapp drei Minuten. Dem Text liegt die Aussage zugrunde, dass dieses ewige Streben nach Wachstum – höher, schneller, weiter – auch fast 50 Jahre nach der Club-of-Rome-Veröffentlichung immer noch sinnfrei ist. Letztlich ist es nur eine musikalische Binsenweisheit. 1972 veröffentlichten Wissenschaftler mehrerer Disziplinen eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Weltwirtschaft (d. Red.).
Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, lautet eine Textzeile. Noch eine Binsenweisheit. So scheinen heutzutage aber viele zu denken. Woran hast du gedacht, als du diesen Song geschrieben hast?
Daran, dass etwas mehr wir statt ich wünschenswert wäre. Wahrscheinlich muss man so denken, wenn man in der Jugend von Justin Sullivan (New Model Army, d. Red.) und Joe Strummer (The Clash, d. Red.) geprägt wurde.
www.facebook.com/qekjunior
Interview: Kai Reinbold