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Doch die Schweden haben es geschafft! Emanuel Åström ist keine Behelfslösung, keine Kopie seines Vorgängers. Sein Gesang ist variabler und lässt ganz unterschiedliche Stimmungen entstehen. Obwohl Agent Side Grinder mit dem neuen Longplayer A/X eher am vorletzten Album anknüpfen und sich weniger organisch als zuletzt präsentieren, konnten sie mit Emanuel am Mikro erneut ihren Klangkosmos erweitern. A/X hält das extrem hohe Level und zeigt Agent Side Grinder zugleich in ganz neuen Facetten. Wir sprachen mit Bandgründer Johan und dem neuen Mann im Gefüge.
Lasst uns zunächst in die Vergangenheit schauen. Johan, da ihr erst wenige Interviews gegeben habt, seit Kristoffer die Band verlassen hat: Wie ist es zu seinem Ausstieg gekommen? Hat euch seine Entscheidung völlig unvermittelt getroffen?
Johan: Es war eine totale Überraschung. Wobei, rückblickend gab es doch einige Warnsignale. 2016 wollte Kristoffer beispielsweise nicht mehr so oft auf Tour gehen wie zuvor. Nachdem wir dann die Mitteilung von ihm erhalten hatten, dass er aussteigen wird, verharrten Peter und ich erst für ein paar Tage in Schockstarre. Und dann sind wir zeitgleich in eine Depression verfallen.
Nicht viele Fans haben damit gerechnet, dass ASG ohne Kristoffer würden weitermachen können. Dessen wart ihr euch sicher bewusst, oder? Hat euch dieses Wissen verunsichert und ausgebremst in dem, was ihr machen wolltet?
J: Natürlich wussten wir das. Den Sänger zu verlieren ist vermutlich das Schlimmste, was einer Band passieren kann. Und zusätzlich der Ausstieg von zwei weiteren Mitgliedern! Auf der anderen Seite sind Peter und ich schon immer der Kern von Agent Side Grinder gewesen und wir sind sehr selbstsicher hinsichtlich unserer Musik. Wir kennen unsere Stärken. Also haben wir nach wenigen Wochen angefangen, unseren Backcatalogue neu zu arrangieren und Material für ein neues Album zu schreiben. Wir hatten sofort eine klare Vision davon, wie die nächste ASG-Platte klingen sollte. Es allen Zweiflern zeigen zu wollen, war eine riesige Antriebskraft für uns!
„Es allen Zweiflern zeigen zu wollen, war eine riesige Antriebskraft für uns!“
Die Lyrics von The Great Collapse scheinen von Kristoffers Ausstieg aus ASG und von der Zeit der Neufindung und des Neubeginns mit Emanuel zu handeln. War das eure Intention?
J: Schon, irgendwie. Es war eine turbulente Zeit für die Band, für mich persönlich und die Welt im Allgemeinen – Zusammenbrüche gibt es überall, um in Metaphern zu sprechen. Man kann die Lyrics also auf viele Arten interpretieren.
Woher kennt ihr euch eigentlich? Wie kam es dazu, dass Emanuel neuer Sänger bei ASG geworden ist? Und, Emanuel: Wie war es für dich, als du gefragt wurdest, ob du Mitglied bei ASG werden möchtest?
J: Wir haben Emanuel Anfang 2016 kennengelernt, als er ein Konzert von ASG in seiner Heimatstatt Uppsala promotet hat. Ein paar Jahre später, als wir einen neuen Sänger suchten, haben wir ihn zufällig bei einem Lebanon-Hanover-Konzert in Stockholm getroffen. Wir wussten nicht, dass er singen kann, aber ein paar Tage später haben wir uns in unserem Studio getroffen – und der Rest ist Geschichte.
Emanuel: Es ging alles so schnell, ich hatte so gut wir gar keine Zeit, zu reagieren. Aber für mich ist das natürlich eine große Ehre.
Emanuel, Gerüchten zufolge warst du ein großer Fan der Band, bevor du selbst ein Teil von ihr wurdest. Stimmt das? Und warst du vor deinem Einstieg bereits in anderen Bands und Projekten aktiv?
E: 2012 habe ich ASG zum ersten Mal live gesehen und ich dachte „das ist eine großartige Band, ich möchte ihren Sound gerne klauen“. Seitdem habe ich ihre Arbeit verfolgt. Bevor ich Sänger bei ASG wurde, war ich in eine Reihe Bands involviert, die meisten davon gitarrenlastig. 2014 hatte ich angefangen, mit zwei meiner besten Freunde und Langzweit-Musikerkollegen mit Synths und elektronischem Kram zu experimentieren. Dieses Projekt wartet noch darauf, vollendet zu werden.

Wie verliefen die ersten gemeinsamen Sessions?
E: Für mich waren sie Teil eines Prozess des Kennenlernens ihrer Arbeitsweise und sie dienten dazu, ihnen meine Arbeitsweise vorzustellen. Aber auf persönlicher Ebene passen wir super zusammen, sodass sich der Workflow wie von selbst eingestellt hat.
J: Dem kann ich nur zustimmen. Direkt von Anfang an war die Zusammenarbeit sehr natürlich und kreativ.
Das neue Album heißt A/X – wie von Alpha bis Omega oder von A bis Z? Oder was ist die Idee dahinter?
E: Der Name vom neuen Logo inspiriert, das der Industrial-Designer Peter Lunberg für uns entworfen hat. A als Symbol für Neubeginn. A wie Agent, und X als Variable, das Unbekannte, ein Chromosom, das jederzeit mutieren kann. Vielleicht könnte man auch von A zum Unbekannten sagen.
„Ich denke, dass der moderne Post-Punk derzeit ein wenig durch ist.“
A/X geht soundtechnisch zurück zum komplexeren elektronischeren Sound, wie auf Hardware beispielsweise, und weist deutlich weniger Post-Punk-Elemente auf, als zuletzt Alkimia. Wie kam es dazu? Lag das vielleicht am Ausstieg eures Bass-Spielers Thobias Eidevald?
J: Ja, das ist zum Teil richtig. Aber Agent Side Grinder wäre ohnehin wieder in eine elektronischere Richtung gegangen. Wir haben sehr früh beschlossen, den Bass rauszulassen, zumindest auf der Bühne, und ihn durch eine fette Synth-Bass-Line zu ersetzen. Ich denke, dass der moderne Post-Punk derzeit ein wenig durch ist. Wir experimentieren lieber mehr und stoßen so in neue Richtungen vor.
In Decompression sind dezente Anleihen an Lassigue Bendthaus zu hören – eine Hommage an diese Band oder purer Zufall?
J: Das ist Zufall, schätze ich. Ich dachte eigentlich, ich hätte eher einen The-Klinik- oder Front-242-Vibe erzeugt. Meine Idee war es, einen klaustrophobischen, auf Percussion basierenden Track zu machen, mit vielen Drum-Fills und programmierten Double-Bass-Drums, fast schon Black-Metal-artig.
Soundtechnisch erinnern The Great Collapse und MM/CM an Depeche Modes Delta Machine-Ära. Habt ihr dasselbe Equipment benutzt wie Martin Gore?
J: Ja, vielleicht. Ich meine, er hat ein paar Synths, aus denen er auswählen kann, und wir auch. Analoges Equipment war immer schon das Mittel der Wahl für ASG. Wir versuchen allerdings eher selten, andere Bands zu kopieren. Aber manchmal schlittern wir einfach so in DM-Gewässer, es ist auch kein Geheimnis, dass ich ein riesiger Fan der Band bin, allerdings nicht unbedingt von der Delta Machine-Ära.
In Doppelgänger und Inner Noise ist deutlich das Motiv einer gespaltenen Persönlichkeit zu erkennen. Was fasziniert euch daran?
J: Das komplette Konzept einer gespaltenen Persönlichkeit hat perfekt zu der Phase gepasst, durch die die Band damals gegangen ist. Es war ein passendes Thema sowohl für die Musik als auch für die Lyrics. Außerdem hatte ich zu der Zeit gerade Twin Peaks: The Return geschaut, worin ebenfalls ein Doppelgänger-Motiv vorkommt, was mich inspiriert hat.
Bei Stripdown ist prominent ein Saxofon zu hören – gefühlt ist dieses Instrument ein Relikt der 80er-Jahre-Popmusik, es scheint aber dieser Tage wieder angesagt zu sein. Warum habt ihr euch dazu entschieden, ein Saxofon zum Einsatz zu bringen?
E: Der ursprüngliche Plan war es, dass Gustav eins seiner experimentelleren, effektbeladenen Free Jazz-Solos spielt. Aber im Studio haben wir ihn darum gebeten, etwas im 80er-Style zu versuchen und fanden das Resultat sofort super!
Es sind auch auffällig viele Acid-Elemente auf A/X verbaut worden …
J: Wir dachten, dass es cool wäre, unseren Klang auf dieser Platte auszuweiten. Und diese Sounds der späten Achtziger und frühen Neunziger hatten genau den clubbigen Vibe, den wir suchten. Wir haben den TB-303 auch früher schon benutzt, aber ihn dieses Mal noch verstärkter eingesetzt.
Es scheint eine Art Ritual zu geworden zu sein, an die letzte Stelle eurer Alben einen langsamen Track mit einer Gastsängerin zu setzen: auf Alkimia war es Nicole Sabouné bei Last Rites, dieses Mal singt Sally Dige bei Wounded Star …
J: Hmm, ja, scheint so. Aber manchmal braucht man einfach eine weibliche Stimme. Zunächst hatten wir Wounded Star selbst eingesungen, das hat jedoch nicht das Level an Verletzlichkeit und Feingefühl erreicht, das wir uns vorgestellt hatten. Wir kannten Sally schon und waren sehr dankbar, dass sie zugestimmt hat, zu singen. Das Ergebnis ist perfekt und einfach der offensichtliche Albumabschluss.
Was steht in den kommenden Monaten bei euch an?
J: A/X wird im Juni via Metropolis Records auch in Nordamerika veröffentlicht. Dann spielen wir einige Sommerfestivals, inklusive dem Amphi im Juli. Und im Oktober und November gehen wir auf eine ausgedehntere Europa-Tour.
www.agentsidegrinder.com

Interview: Catrin Nordwig & Jörn Karstedt
Foto: Ludvig Lindqvist
Agent Side Grinder live in Deutschland 2019:
20.07. Köln, Amphi Festival
20.10. Berlin, Urban Spree
21.10. Jena, Café Wagner
24.10. Nürnberg, Der Cult
25.10. Esslingen, Komma Kultur
02.11. Hamburg, Hafenklang