Erick Miotke (Trilogy, Ex-Trial) geht zwischenzeitlich neue künstlerische Wege. Zusammen mit Friedhelm Kranz (Foto rechts) bildet der Braunschweiger das Projekt Villaborghese, das einen musikalischen Bogen von IDM bis Soundtrack schlägt. Auf die Single Surrounded folgte Mitte Oktober das Debütalbum On The Move – begleitet von einer ersten Live-Performance. Und damit ist dieses neue Kapitel längst nicht beendet, wie Erick im Interview erzählt. Außerdem rollt er für VOLT seine wegweisende musikalische Vergangenheit auf und blickt in die nähere und fernere Zukunft, in der er in Sachen Electro ein deutliches Wörtchen mitreden wird.
Du machst seit 30 Jahren Musik, hast abseits von Trial beziehungsweise Trilogy bis zuletzt jedoch nie etwas veröffentlicht. Warum nicht?
Es muss immer jemanden geben, der das auch rausbringen möchte. Damals – ohne Web und die heutigen Herstellungsmöglichkeiten – konnte man zumindest Tapes machen, was wir auch taten. CDs herzustellen war eine andere Hausnummer, vom Vertrieb ganz abgesehen. Wir hatten das Glück, ab 1992 Labeldeals für Trial zu bekommen und bei einem Musikverlag aufgenommen zu werden. E-Orgel spielte ich übrigens schon 1984, damit ging alles los.
Was schlummert da noch auf deinen Festplatten?
Vor Trial und der Band Crybabies, die gab es von 1990 bis 1993, habe ich als Whiper sieben Titel mit Synth, Drumcomputer und Vocals eingespielt – das war quasi die direkte Trial-Vorstufe. Ich weiß nicht, ob das heute noch jemand hören möchte. Aus Crybabies ging Dogeater hervor. Eine 4-Track-EP ist in einem Studio produziert, aber nicht mehr veröffentlicht worden, da es mit einem Mitglied Komplikationen und 1994 den Bruch gab.
Auch mit Ex-Crybabies-Sänger Gunnar Duvenhorst entstanden 1994 einige Tracks. Wir sind seit längerem wieder in Kontakt und haben mehr als 30 Demos für ein neues Projekt namens DUO zusammen. Hier sind ein Album und eine EP geplant. Gunnar war es auch, mit dem ich 1986 die allererste Session meines Lebens hatte, als wir John Carpenters Das Ende – Assault On Precinct 13 mit Gitarre und E-Orgel nachspielten. So schließt sich der Kreis.
Gibt es auch noch übriges Trial-Material?
Vor allem! Wann immer das erste Trilogy-Album veröffentlicht wird, soll parallel dazu eine 3-CD-Box erscheinen, die alle 2009 remasterten Trial-Klassiker beinhaltet, das aufwändig mitgeschnittene Hannover-Konzert von 2009 und unveröffentlichtes Material. Das allein sind 20 Tracks. Darüber hinaus habe ich noch sehr viele Demos und Songansätze, die durch den Ausstieg meines Trial-Partners leider nicht mehr fertiggestellt werden konnten.
„20 unveröffentlichte Tracks von Trial sind für eine Box-Veröffentlichung angedacht.“
Wie kam das Projekt Villaborghese zustande? Woher kennt ihr euch, Friedhelm Kranz und du?
Friedhelm ist Hauptgesellschafter einer Werbeagentur, und ich bin seit fast 20 Jahren einer seiner Angestellten. Schon sehr früh haben wir unser Musikinteresse und insbesondere unser Kraftwerk-Fandom geteilt. Erste außerberufliche Projekte entwickelten sich durch Friedhelms Kunst-Engagement und Ausstellungen, an denen ich auf die eine oder andere Weise mitwirkte. Hierfür entstanden in den letzten Jahren unter anderem Videoclips und Soundcollagen.
Wann habt ihr gemerkt, dass ihr gemeinsam etwas Größeres auf die Beine stellen könnt?
Friedhelm entwickelte unter diesem Namen schon vor einigen Jahren Soundkonstrukte. Die Basis für Villaborghese als gemeinschaftliches Projekt ergab sich im letzten Jahr. Ursprünglich sollte es nur eine Sound- und Videoperformance im Rahmen einer Ausstellung des BBK Braunschweig am 9. Oktober werden. Daraus ist über die letzten zwölf Monate das fertige Konzept mit der Umsetzung im musikalischen- und im Videobereich geworden.
„Bei Villaborghese müssen keine Hits entstehen.“
Die Tracks wirken organisch, gewachsen. Wie arrangiert ihr Euch bei der Produktion?
Mal macht der eine einen Ansatz, dann der andere. Oder wir experimentieren gemeinsam. Da wir beide mit Logic arbeiten, können wir uns Daten zum Weiterentwickeln hin und her spiegeln. Wichtig ist, dass wir nicht im Korsett von Songstrukturen gefangen sind, sondern die Tracks sich in jede Richtung entwickeln können. Von abstrakt bis tanzbar. Hier müssen keine Hits entstehen, es ist eher eine Stimmungs- oder Zustandsmusik. Wie ein Soundtrack … wozu auch immer. Das kann der Hörer für sich selbst herausfinden und nutzen.
Für Ambient, Filmmusik und instrumentale Soundgewalt hast du schon immer eine Ader gehabt …
Los ging es mit John Williams Soundtracks für Star Wars, ET und Indiana Jones. Parallel entdeckte ich in der Plattensammlung meines Vaters Jean-Michel Jarre und Tangerine Dream. Später konnte die Welt der synthetischen Sounderzeugung mit dem Sampling völlig neue Dimensionen erreichen. Und genau in diesem Zeitabschnitt, als diese Technik Einzug in die Produktionen hielt, erfolgte meine tiefe Prägung.
Ich war 1984 in Paris in einer Sonderausstellung über moderne Musik im Centre Pompidou, bei der neben Stockhausen und Kraftwerk auch Depeche Mode mit dem Video zu People Are People vertreten waren. Diese Klänge und die recht speziell aussehenden Typen auf dem Militärschiff waren für einen knapp 13-jährigen Bengel eine wahre Offenbarung, die sich in dieser Intensität wiederholte. Zum Beispiel als ich Front 242 1987 als Support-Act bei DMs Masses-Tour sah und begriff, was die nächste Härte-Stufe ist. Das ging sehr vielen Leuten so.
Damals gab es noch neue, bahnbrechende technische Entwicklungen, die projektorientiert umgesetzt für ein echtes Wow-Erlebnis sorgten. Heute hingegen kann in vielen musikalischen Bereichen von inflationärer Übersättigung gesprochen werden.
„Depeche Mode und Front 242 waren eine Offenbarung für mich.“
Auch bei Villaborghese spielt neben der Musik die optische Komponente eine große Rolle, das Konzept wirkt ganzheitlich, entfaltet sich erst live in vollem Umfang.
Da die Verbindung von Bild und Ton die Ausgangssituation des Projekts war, ist diese Synergie grundlegend. Ursprünglich einziges Ziel war besagte Performance in Braunschweig. Währenddessen ist vom Publikum nichts zu hören gewesen, danach gab es Standing Ovations. Ein tolles Gefühl, denn die Vorbereitung war sehr lang und kräftezehrend. Die etwa einstündige Reise führt durch verschiedenste oft dunkle Momente, findet am Ende aber eine hoffnungsvolle Auflösung.
Beim Lauscher Festival am 7. November in Erfurt werden wir ein etwas kompakteres Set darbieten. Aktuell stehen noch zwei weitere Anfragen im Raum. Bleibt abzuwarten, was angesichts der aktuellen Situation davon umsetzbar sein wird.
Werden auch noch Releases folgen?
Ebenfalls für den 7. November ist der digitale Release der zweiten Single Close mit drei neuen Mixes des Titelsongs und drei Bonustracks angesetzt. Anfang nächsten Jahres soll eine Remix-EP folgen.
Und wie ist der Stand der Dinge bei Trilogy?
Die für Ende des Jahres geplante Digitalsingle heißt Entombed Love, ein mir sehr wichtiger Song. Einen guten B-Seiten-Track und die Idee für einen Clip gibt es auch. Für das Album stehen 15 rohe Tracks bereit. Ein Release 2021 ist vorstellbar. Ich weiß, dass das die x-te Ankündigung ist. Doch sind wir mit diesem Projekt nicht primär zum Geldverdienen angetreten, sondern, um die Trial-Legacy weiterzuführen – und das qualitativ hochwertig.
www.facebook.com/villaborsound www.facebook.com/trilogy.base Fotos: Andreas Greiner-Napp, greiner-napp.de |