Seit Jahren ist es zu beobachten: Der Missbrauch von Fachtermini zur Klassifizierung elektronischer Musik nimmt zu! Industrial, Dark Electro, EBM? Ist doch egal! Hauptsache, das Wort klingt gut, selbst wenn dies den so bezeichneten Machwerken nicht im Geringsten attestiert werden kann.
Liebe VOLT-Gemeinde, du musst jetzt ganz stark sein!
Es ist nicht auszuschließen, dass deine Welt ins Wanken oder gar völlig aus den Fugen gerät. Das Label ZYX erklärt dir, wer du wirklich bist, wie es um deinen Geschmack bestellt ist, und, viel schlimmer: Wieviel tolle „EBM“- und „Industrial“-Musik bislang komplett an dir vorbeigegangen ist.
Wo warst du, als Megaherz ihren „EBM“-Klassiker Ebenbild komponierten? Etwa beim Re-Union-Konzert von The Klinik? Wovon hast du gerade geträumt, als Menschdefekt den tiefgründigen „Industrial“-Meilenstein Psycho Bitch produzierten? Etwa von der Wiederauferstehung Dwayne Rudolph Goettels? Und was zum Henker hast du getrieben, als es bei Eisenfunk Pong gemacht hat und sich dieser Erguss unverfälschter Genialität in Musik verwandelte, die bei keiner Power-Electronics-Party fehlen darf? Na? Na? Na? Wir wissen es: Du hast deine Originalpressungen von SPK und Blackhouse waschen lassen und wichtige Lebenszeit sinnlos verschwendet. Schäm dich!
Und bedanke dich bitte bei ZYX für die Doppel-CD-Compilation The World Of EBM & Industrial, die dir hilft, verpasste Lektionen in Musikgeschichte nachzuholen. Psionic, Eisbrecher, X-Divide, Beati Mortui, Staticviolence, My Consequence: konsequenter geht es wahrlich nicht!
Doch Moment ... es sind auch einige seltsame Bands auf dieser Songsammlung gelandet, die in diesem Kontext rein gar nichts verloren zu haben scheinen. Wer hat je von gewissen Nitzer Ebb gehört oder ist einem Label namens Zoth Ommog begegnet, wo diese X Marks The Pedwalk und Orange Sector einst beheimatet gewesen sein sollen? Eben!
Davon ab strotzt dieses am 29. November erscheinende „EBM“- und „Industrial“-Manifest jedoch vor dem, was sein Titel verspricht.
Und jetzt alle: DANKE, ZYX!

Was ist EBM? Was ist Industrial? - ein kleiner Exkurs:
Wirklich eindeutig ist es noch nie um die Eindeutigkeit bei der Genre-Zuweisung bestellt gewesen. Wie war das damals mit Techno, New Beat, Aggrepo und EBM? So als Beispiel. Verschiedene Bezeichnungen ein und derselben Musik? „Neeeiin!“ schreien die Frankfurter, „Neee!“ die Berliner und „Geeen!“ beziehungsweise „Non!“ die Belgier.
Denn das war ja zweifellos alles ganz anders. Wie genau, das sollten allerdings besser die Zeitzeugen selbst darlegen. Pro Region und pro Jahr von 1985 bis 1990 einer. Oder nein: Besser je auch eine zweite Person, die vom Gegenteil überzeugt ist. So entsteht ein schlüssigeres Bild.
Und dann, in den Neunzigern, da wurde es ganz verrückt! Da kamen erst die Düstermänner, die von Tod und Teufel, von blutigen Gesichtern und Menschenfleisch sangen. Dann die mit dem Staubsauger auf dem Rücken und der Ekstase im Stoffwechsel. Dann die Tabubrecher, die es wagten, in Saiten zu greifen und auf Felle zu hauen. Dann die Krachmacher in zweiter Generation, die Geräusche rhythmisierten, und schließlich auch noch die mit der Tischhupe, die den Fall aller Grenzen zwischen Szene-Club und Kirmesplatz ernsthaft zum Konzept für die Zukunft erklären wollten.
Glück im Unglück: Es gab genug wohlklingende und konsensfähige Begriffe, mit denen sich die blöden Neulinge, frechen Ausbrecher und selbsternannten Revoluzzer klar in ihre Schranken weisen ließen: Du bist ein Raver, du ein Future-Popper. Ihr seid raus! Zack! Alle anderen können gerne bleiben.
Die Nordamerikaner, die machten es sich vergleichsweise leicht. „Wow! That’s deep, that’s dark, that’s weird, that’s harsh, that’s political, that’s sick, that’s hard, that’s music to march to …” Das ist Industrial! Ein Kamm, eine Schere, zehn Sorgen weniger. Zugegeben: So geht’s natürlich auch nicht. Depeche Mode gehören ebenso wenig in einen Topf mit KMFDM wie Front 242 mit Skinny Puppy oder Throbbing Gristle mit Laibach (falls die beiden letzten in Übersee überhaupt zu gängigen Begriffen zählten). Und alle zusammen? Ausgeschlossen!
Aber da gab es zumindest gewisse stilistische Schnittmengen, eine Art gemeinsamen Spirit, einen fragilen Überbau aus ähnlich gefärbten Geschmacksnoten. „So what?“, würden Ministry fragen. Und vielleicht hatten sie ja immer recht.
Und nun? Wir steuern auf das Jahr 2020 zu und noch immer lässt sich vortrefflich darüber streiten, was nun wie bezeichnet werden darf oder aus welchen Gründen eben nicht. Wo müssen Grenzen gezogen werden, wo sind sie überflüssig? Was ist nur ein Trend und wo ist vielleicht ein eigenständiges neues Genre entstanden? Das ist sinnvoll und teilweise sogar ungeheuer notwendig.
Denn welche bizarren Stilblüten der Missbrauch von Stilmarken, von mächtigen Genre-Kennzeichen, austreiben kann, zeigt unter anderem das ZYX-Label regelmäßig und vorzugsweise mit flutartig auf den Markt geschütteten CD-Kompilationen. Da wurden schon „Gothic-Rocker“ bekehrt, „80er-Electro“-Fans belehrt und „Thrash-Metaller“ auf Linie gebracht.
Jetzt sind halt die dran gewesen, die bis dato der Ansicht waren, auf „EBM & Industrial“ zu stehen – oder die demnächst behaupten werden, selbiges zu tun. Und genau deshalb werden die Diskussionen wohl niemals enden. Ist doch auch schön, oder?