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In jüngerer Vergangenheit, noch während sie ihre neuen Songs schrieben, mussten Jae und Gus einige Schicksalsschläge verarbeiten. Das auf Careful enthaltene The Look You Gave (Jerry) ist nach Jaes Stiefvater benannt, der gestorben war, kurz bevor Jaes Mutter an einer Demenz erkrankte. Inwiefern sich diese traurigen Ereignisse auf das neue Boy-Harsher-Album auswirkten, nicht nur darüber sprachen die beiden – sondern vor allem über das Positive, was die Zukunft für sie bereithält. Zum Beispiel eine bereits ausverkaufte Show im Berliner Berghain.
Euer neues Album Careful wird am 1. Februar erscheinen. Warum heißt es so?
Jae: Careful bringt all das miteinander in Einklang, was uns wichtig war: behutsam vorzugehen, geduldig zu sein. Wir haben zwei schwierige Jahre hinter uns, deshalb wurde das zu einem gelebten Mantra.
Erfahrungen von Liebe, Schmerz und Verlust haben die Entstehung der Songs beeinflusst. Was ist passiert?
Jae: Nachdem wir die Hälfte der Lieder geschrieben hatten, starb mein Stiefvater. Das veränderte unser ganzes Leben. Ich verbrachte viel Zeit damit, mich mit Verlust, Zärtlichkeit und dem Verlangen auseinanderzusetzen, allem zu entfliehen.
Welchen Stellenwert hat Musik und das Musikmachen für euch ganz persönlich, in solchen und anderen Situationen?
Gus: Was das betrifft, bin ich mir nicht wirklich sicher, obwohl Musik einen großen Teil meines Lebens bestimmt.
Jae: Dem ganzen Stress und allem zum Trotz: Zu performen ist ziemlich befreiend. Obwohl das Touren durchaus Schattenseiten hat, ist es fantastisch, auf der Bühne zu stehen und mit allen zu feiern.
Tanzbar und zugleich finster ist euer Sound. Inwiefern spiegeln sich eure Persönlichkeiten darin wider?
Gus: Ich bin eher launisch und ich liebe es zu tanzen!
Jae: Ich kann ziemlich düster sein, Gus ist der zuversichtliche Typ.
Viele eurer Songs haben einen deutlich erkennbaren 80er-Touch. Was fasziniert euch an diesem Jahrzehnt?
Gus: Mich begeistert es, wie erfolgreich der Minimalismus die Musik der 80er geprägt hat. Das ist wirklich ein Paradebeispiel dafür, was mit einem Drumcomputer und ein paar Synths alles angestellt werden kann.
Waren die Musik und die Kunst im Allgemeinen damals gehaltvoller und bedeutsamer als heute?
Gus: Nein, definitiv nicht. Sowohl die Kunst als auch die Musik entwickeln sich ständig weiter.
Ihr könnt es beurteilen, denn ihr kennt euch sowohl mit Musik als auch mit Filmen gut aus. Erzählt doch mal, welchen Hintergrund ihr mitbringt und wie sich das auf eure Songs auswirkt.
Gus: Mit dem Filmemachen begann ich während meines letzten Jahres an der Highschool. Mir kam der Gedanke, nach Austin (Texas, USA) zu ziehen und an Filmen zu arbeiten. Eine Weile trieb ich mich da unten herum, bevor ich nach Savannah (Georgia, USA) ging, um an der Uni zu studieren. Sounddesign und Filmmusik waren immer wichtige Bestandteile meiner Projekte.
Jae: Wichtig ist mir, dass unsere Musik atmosphärisch klingt, dass sie Emotionen weckt, in gewisser Weise geheimnisvolle Landschaften heraufbeschwört – um den Sound wie einen Film zu visualisieren.
Soweit ich weiß, gehört David Lynch zu euren Lieblingsregisseuren.
Jae: Ja, ich liebe Lynch.

Weshalb?
Jae: Lost Highway ist eine wilde, absolut rätselhafte Story; ich liebe sie einfach.
Was macht ihn und seine Arbeiten für euch so reizvoll?
Gus: Mich ziehen Regisseure an, denen es gelingt, eine Geschichte auf unkonventionelle Art und Weise zu erzählen. David Lynch kann allein mithilfe seines Sounddesigns unheimlich viel vermitteln, wodurch so manche verdammte Emotion greifbar wird.
Das gilt auch für eure Videoclips zu Fate und Face The Fire. Welche Idee lag dem Face-The-Fire-Dreh zugrunde?
Gus: Immer, wenn ich das Stück hörte, sogar schon während wir es schrieben, dachte ich an einen Sonnenuntergang am Strand. Im Auto hörten wir Larry Browns Fay und wir ließen uns von dem Gedanken inspirieren, einfach durchzubrennen – beides wollten wir einbeziehen.
Mit Sara Cummings konntet ihr ein erfolgreiches Model für den Videodreh gewinnen. Wie habt ihr sie kennengelernt?
Jae: Sara ist so liebenswürdig und sie ist ein Fan. Sie kam nach New York, um uns zu sehen. Wir sprachen mit ihr darüber, ob sie in einem unserer Videos mitspielen möchte, und sie stimmte zu. Als uns besagte Beach-Runaway-Idee kam, war uns klar, dass Sara perfekt dazu passen würde.
Inzwischen betreibt ihr sogar eure eigene Plattenfirma: Nude Club Records. Wie kam es dazu?
Gus: Unsere ersten beiden Veröffentlichungen sind in sehr überschaubaren Auflagen bei Do-it-yourself-Labels erschienen und inzwischen ausverkauft. Da uns einige Tourneen bevorstanden, kam uns die Idee, sie selbst wiederzuveröffentlichen. Mit den Re-Releases funktionierte das gut, weshalb wir beschlossen, es mit dem neuen Album Careful erneut zu versuchen.
Ab Februar seid ihr wieder live in Europa zu sehen. Worauf freut ihr euch am meisten?
Jae: Wir werden in Europa hervorragend angenommen. Das ist total irre und unfassbar positiv, es macht mich glücklich.
Gus: Durch Europa zu touren, ist wirklich ein Privileg. Dort zu spielen, ist mir eine Ehre, und da wir gerade beim Thema sind: Wir werden sogar im bereits ausverkauften Berghain auftreten – das wird verrückt!
Und es dauert gar nicht mehr lange: Am 5. März spielt ihr in Berlins berühmtestem Club. Wart ihr schon mal dort?
Gus: Noch nie, aber ich habe Geschichten gehört …
Genauso berühmt wie der Club und die Geschichten über ihn ist Sven Marquardt, der Türsteher. Wird bestimmt nett, mal entspannt mit ihm abzuhängen, oder?
Jae: Ich kann es kaum erwarten, Sven zu begegnen.
Abgesehen davon: Was wird dieses Jahr sonst noch wichtig für euch werden?
Jae: Ich glaube nicht, dass wir das jetzt schon absehen können.
Gus: Wir werden demnächst zwei Monate lang auf Tour sein. Konzentrieren wir uns einfach mal darauf, das zu überleben.
boyharsher.com

Fotos: Nedda Afsari

Liebe, Sex und Zärtlichkeit haben schon viele um den Verstand gebracht. Außerordentlich Kluge ebenso wie mental weniger großzügig Bemittelte. Gleiches gilt für Leid, Lust und Leidenschaft. Beide oftmals unselig wirkende Dreieinigkeiten gingen auch an Boy Harsher nicht spurlos vorüber. Jae Matthews und Gus Muller verbindet seit Jahren eine Beziehung, die über rein Berufliches hinausgeht. Zeitweise gefährdeten persönliche Unstimmigkeiten die gemeinsame musikalische Karriere. Es gab Tage, an denen die beiden nicht miteinander sprachen. Matthews ließ sich einst sogar das Wort Careful tätowieren. Es war eine Botschaft, genauer gesagt eine Warnung vor den zerstörerischen Kräften der Liebe. Mit den Arbeiten an ihrem zweiten Album änderte sich manches.
zur ausführlichen Rezension