WGT-Montag in Leipzig, zeitiger Nachmittag. Aus „wir treffen uns kurz auf ein Bier“ wurde eine Stunde heiteres Geplauder im Café und Restaurant Spizz. Kühle Getränke bei hochsommerlichen Außentemperaturen gab es auch, wobei sich nicht allein an Bier festgehalten wurde. Auf dem Tisch standen zudem Limo, Cola und etwas braunes Höherprozentiges. Die Zweite Jugend alias Eli van Vegas (Sänger, Songschreiber, Produzent) und Marcel Lüke (Trommler, Songschreiber) wirkte, selbstverständlich, ausgeruht und frisch, das VOLT-Außenteam, natürlich, energiegeladen! Schließlich trägt niemand in dieser Runde seinen Namen ohne Grund. Auf Tag fünf auf der schwarzen Piste, auf das Wohl und auf die Tugend: Darauf stießen wir an!
Na, auch noch in Leipzig?
E: Ich bin jedes Jahr alle Tage hier, immer. Seit Anfang der 2000er. Ich habe mal ausgesetzt, zwei oder drei Jahre, als ich studiert habe. Ich hatte immer direkt am Dienstag nach Pfingsten erste Prüfungsphase.
Das Chaos-WGT hast du also gerade nicht mehr mitbekommen. Wie hättest du als Musiker reagiert?
E: Ich hätte gesagt: Wir spielen trotzdem. Und länger. Dann erst recht.

Ihr habt Sonntag gespielt, im Haus Leipzig. Wie war es für euch?
E: Es war ein Highlight! Wir hatten endlich mal die Umstände und Gegebenheiten, die wir uns wünschen. Das Logo im Hintergrund und unser Schlagzeug – der Rest der Bühne war frei.
M: Mit dem Schlagzeug sitzt du oft hinten, hast keinen Drum-Riser und rechts und links neben dir stehen noch Keyboard-Ständer. Da hat man das Gefühl, man wäre in einer kleinen Kuppel gefangen: die Leute sehen dich nicht, du siehst die Leute nicht. Das war hier einfach perfekt! Auch Daniela Vorndran, die bei uns jetzt die Fotos macht, konnte sich frei auf der Bühne bewegen. Und für uns war das einfach mal eine Möglichkeit, so zu wirken, wie wir es wollen.
Cat Rapes Dog hatten später ziemliche Probleme mit Rückkopplungen, das war bei euch nicht der Fall …
M: Wir hatten unseren eigenen Techniker dabei! Hauke [Dressler, Anm. d. Red.] arbeitet auch für Bands wie Plastic Noise Experience. Er ist jetzt öfters bei uns dabei. Er weiß, wie wir es haben wollen und wie es gut klingt. Mit ihm klappt das auch, da ist wirklich wenig Rücksprache nötig.

Und die Leute waren alle bereits wegen euch da, obwohl es so heiß und recht früh am Tag war!
M: Wir sind sehr geflasht gewesen! Der Lichttechniker hat öfters mal im Publikum die Lampen angemacht – ich habe noch nie so viel von den Zuschauern gesehen wie dieses Mal. Alle haben getanzt und gesungen.
E: Ich habe gestern im Hotel schon festgestellt, dass ich die Leute bislang selten so viel habe mitsingen lassen.
Und wie war das für dich, Eli – warst du zunächst eingeschüchtert wegen der großen Bühne?
E: Nein, gar nicht. Ich habe mit Combat Company, meiner anderen Band, auch schon mal im Kohlrabizirkus gespielt. Da war ich auch alleine vorne. Aber das war eine andere Geschichte. Die Band war nie wirklich bekannt oder beliebt. Jetzt ist es irgendwie was anderes. Jetzt läuft das Intro und in dem Moment kickt das Adrenalin, und dann geht’s auf die Bühne raus. Wir bauen auch die Setlist so, dass wir eine Steigerung drin haben. Dass wir nicht sofort auf die Pauke hauen, sondern den Leuten eine Minute geben.
Euer aktuelles Album Elektronische Körpermusik hat jetzt so richtig geknallt, ihr seid in aller Munde und spielt regelmäßig live, wart ewig in den DAC. Warum war das nicht schon mit Combat Company so?
E: Ich glaube, das war zu komplex und zu verschachtelt. Zu viel. Die Best-Of, die ich gerade in einer Kleinauflage produziert habe, komplett neu und analog, kam relativ gut an, aber nicht ansatzweise so wie Zweite Jugend.
M: Damit, dass Zweite Jugend jetzt so einschlägt, haben wir beide nicht gerechnet. Wir haben uns diesen Titel einfach rausgenommen, weil wir unsere Art von elektronischer Körpermusik machen wollen. Wenn uns jetzt jemand fragt, sagen wir auch, wir machen Electro-Punk. Der EBM-Begriff ist zu klein gefasst.
Wie bekommt ihr die Doppelbelastung mit normalen Jobs und Zweite Jugend hin, vor allem die Live-Gigs?
E: Ich bin selbstständiger Kommunikationsdesigner und alleine. Ich kann mir die Zeit nehmen.
Dann weißt du als Kommunikationsdesigner sicher, wie du die Leute mit Zweite Jugend ansprechen musst ...
E: Ja, definitiv. Aber wir hatten die Idee ja viel früher, das war eine Schnapsidee, als wir beide in den Seilen hingen und uns jemand sagte: ihr seht aus wie in der zweiten Jugend! Und, yeah, das war der Bandname! 2015, als wir Combat Company beendet hatten, waren Platz, Zeit und Raum für Zweite Jugend. Wir haben ein Konzept geschrieben und behalten das bis heute bei.
Ihr habt ein Konzept geschrieben?
E: Ja. Wir haben damals gedacht, wir müssten drei Alben machen. Erst mal. Das erste machen wir so, wie wir denken, fangen an mit ein bisschen Spaß. So sind auch Songs wie Hoch die Tassen! entstanden. EBM-mäßig, rumpelig, minimalistisch. Das eigentlich Entscheidende ist aber die Textarbeit. Ich schreibe dauerhaft ein Textbook, so ähnlich wie Gabi Delgado das früher gemacht hat. Nur er schreibt dadaistisch und ich kubistisch. Ich zersplittere meine Texte und setze sie neu zusammen. Ich lasse alles raus, was nichts darin verloren hat. Deswegen ist es so reduziert und trotzdem gehaltvoll. Manchmal sitzen wir stundenlang an meinem Küchentisch und diskutieren über eine Zeile. Auf die Idee zu Alle wollen Krieg bin ich mal bei einem Weihnachtsessen gekommen. Da dachte ich mir so, dass sich die meisten zu Weihnachten eh streiten. Alle wollen Krieg. Aber das Weihnachtsthema habe ich komplett rausgenommen, weil das da nichts verloren hat.
Viele sehen Musik als Kunst, was prinzipiell richtig ist.
M: Das Kunstverständnis für die Musik haben wir aber auch.
E: Das gehört auch alles zu unserem Konzept. Das ist ein Paket, was wir uns am Anfang geschnürt haben. Wo wir uns, mit einer Ausnahme, und zwar gestern, dran gehalten haben: wir haben noch nie ein englisches Wort von uns gegeben.
M: Wir haben wirklich alles auf Deutsch. Auch Anglizismen verwenden wir nicht.
Weil…?
M: Weil Deutsch eine schöne Sprache ist.
E: Weil Deutsch eine mächtige Sprache ist. Sie kann sehr groß und sehr klein klingen. Es ist aber nicht so, als würden wir Englisch nicht mögen. Überhaupt nicht.
Aber zurück zum WGT … Was habt ihr euch angesehen?
E: Gemischt. Das Warm-Up ist natürlich immer Pflicht. Da bin ich jedes Jahr, bis ich nicht mehr laufen kann.
M: Ich trinke keinen Alkohol und berichte immer, was am Abend zuvor passiert ist.
E: Ansonsten waren wir schon zweimal in der Agra. Wir sind als relativ große Gruppe unterwegs und da sind die Geschmäcker recht verschieden. Wir waren beispielsweise bei White Lies, ein großartiges Konzert.
M: Für mich war Kontravoid das Highlight. Ich war den ganzen Tag im Stadtbad und habe viel von den Cold-Wave-Sachen, die am Sonntag gespielt haben, angeguckt. Da war Spannendes dabei. Ich kannte nur zwei der Bands, aber man sammelt einfach die musikalischen Eindrücke.
Musikalisch aufgeschlossen seid ihr offenbar …
M: Absolut, ja. Ich muss nicht immer EBM gucken.
E: Wenn ich feiern gehen will, höre ich keine Gitarrenmusik. Da ist meistens nach dem Konzert Schluss. Da muss man schon in einen Technoclub gehen.
M: Eli ist zwar alterstechnisch vor mir, aber irgendwie hat er die zweite Jugend mehr verinnerlicht als ich. Ich gehe dann früh ins Bett.
Ihr schwimmt auf der dritten oder sogar vierten EBM-Welle. Wie seid ihr auf diese spezielle Musik aufmerksam geworden?
E: Ich 2006, hier auf dem WGT, als Nitzer Ebb ihre Reunion hatten. In der Agra. Und da habe ich richtig Feuer gefangen, bin nach Hause gefahren und habe gesagt, das muss ich machen.
M: Ich habe als kleiner Steppke von meinen Eltern – oder Großeltern, ich weiß das nicht mehr genau – eine NDW-Compilation bekommen. Und da war Der Räuber und der Prinz von DAF drauf. Ich fand das so geil, dass ich mich mit DAF auseinandergesetzt habe. Obwohl das ein völlig szeneuntypisches Lied auf einem völlig szeneuntypischen Sampler war, bin ich damit in diese Szene reingerutscht. Das war ein Glücksfall.
Wart ihr vorher in anderen Szene unterwegs?
M: Wir haben beide einen Hintergrund aus dem Punk. Ich stehe eher auf ältere EBM-Bands. Natürlich sind auch viele neuere Bands in dem Bereich ganz spannend, aber mit den alten Sachen bin ich groß geworden. Und ich glaube, die Einflüsse merkt man auch bei uns.
Stört euch der DAF-Vergleich, der recht naheliegend ist?
E: Eigentlich nicht.
M: Uns wurde nie vorgeworfen, wir wären eine DAF-Kopie, eher so Sätze wie: Wir wussten gar nicht, dass Robert und Gabi Söhne haben. Wir sind die nächste Generation.
E: Da gibt es eine witzige Geschichte: als wir in der Hamburger Markthalle spielten und DAF getroffen haben, da kam Gabi zu mir und fragte, noch bevor er hallo gesagt hat: Na, wie läuft es mit Zweite Jugend?
M: Das war in Ritterschlag.
E: Ich wäre fast umgefallen.
Wo seht ihr für euch noch Entfaltungsmöglichkeiten?
E: Wir nutzen ausschließlich drei Synthesizer. Auf der ersten Platte hatten wir nur zwei: den 101 und einen MS20. Auf dem zweiten Album ist noch ein ARP Odyssey dazu gekommen. Und das wird auch dabei bleiben. Ich habe zu Hause auch noch in paar mehr Synthesizer rumstehen, aber um eine Message rüberzubringen, ist es ganz geil, wenn man sich Grenzen steckt.
M: Ich glaube nicht, dass es das Problem ist, sich zu entfalten, sondern in seinen selbstgesteckten Grenzen zu bleiben. Als das Album jetzt fertig war, haben wir gesagt, wir schreiben erst mal keine neuen Songs, aber wir haben so viele Ideen, wir könnten schon direkt wieder loslegen.
Wie steht es derzeit um das dritte Album?
E: Das ist schon konzipiert. Es gibt einen Namen, und eine Idee. Aber wir haben uns auf die Finger gehauen und nicht direkt weiterproduziert. Möchten damit bis Januar zu warten. Aber ich schreibe natürlich die ganze Zeit in mein Textbook.
M: Ich befürchte, wir können uns nicht bis Januar zurückhalten …
Interview: Catrin Nordwig, Jörn Karstedt

Fotos: Daniela Vorndran
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