New Waves Day 2019: Peter Hook mit Joy-Division-Set, Chameleons Vox, Pink Turns Blue, And Also The Trees und andere Vertreter der ersten und zweiten Post-Punk- und Wave-Rock-Generation gastieren in der Turbinenhalle Oberhausen. Eine wahre DJ- und Szene-Koryphäe, die den Musikgeschmack des Reviers und darüber hinaus nicht nur bediente, sondern stets auch lenkte und verfeinerte, hat sich unter die knapp 2000 Gäste gemischt. Obwohl Thomas Thyssen mehr als 25 Dienstjahre in und für die dunkle Klangwelt vorweisen kann, senkt er den Altersdurchschnitt an diesem Abend: Das Festival spricht in erster Hinsicht Fans an, die schon die Achtziger bei vollem musikalischen Bewusstsein erlebt haben.
Dass sie das Interesse nie verloren haben und dass heute eine Veranstaltung wie der New Waves Day in dieser Größe überhaupt noch durchgeführt werden kann, daran ist Thomas Thyssen mit Sicherheit nicht ganz unschuldig. Menschen wie er sponnen und spinnen bis dato die Fäden, die die Szene zusammen und lebendig halten. In den 2000ern verschlug es ihn nach Berlin, entsprechend groß ist das Hallo, wenn Double-T wieder mal an Rhein und Ruhr auftaucht. Plastik auf Plastik auf Plastik auf Plastik: Auch VOLT stieß mit ihm an.

Peter Hook And The Light live / Foto: Daniela Vorndran
Als Kind des Ruhrpotts bist du mit Sicherheit Biertrinker. Welches trinkst du am liebsten?
Das hat sich über die Jahre geändert. Aber ich muss anders anfangen. Ich hasse diese fancy Craft Beers. Ich bin ein extrem konservativer Biertrinker, und wenn mir jemand sagt, sein Bier schmeckt nach Blumenwiese, Banane oder Hibiskus-Limette, bin ich raus. Von den osteuropäischen Pilsnern und Lagern mag ich tatsächlich fast alle. Auf deutsche Biere runtergebrochen, ist die komplette Bandbreite da: Ich mag bayrische Helle, die süffig sind und von denen man sehr schnell zu viel trinken kann, ebenso wie ein herbes Flens. Beck’s trinke ich auch mal, aber das ist wie eine Depeche-Mode-Party, so ein Konsensding. Und auf einer Depeche-Mode-Party gibt es immer den einen Song, den alle gut finden. Aber so richtig super ist es dann halt auch nicht.
Ich habe einen guten Freund, der auch hier ist und mit dem ich Abi gemacht habe, Tim, der ist ein eingeschworener Moritz-Fiege-Jünger. Das gab es früher auch im Zwischenfall, aber ich fand das nie so geil, obwohl ich da ja wirklich Jahrzehnte verbracht und dieses Zeug hektoliterweise getrunken habe. Aber ich muss sagen: it grew on me. Und mittlerweile finde ich das tatsächlich ganz lecker. Leider gibt es das hier heute nicht.
Besonders oft bist du nicht mehr hier in deiner alten Heimat. Keine Zeit oder keine Lust?
Ich schaffe es nicht. Aber immer, wenn ich hierhin komme, ist es wie Urlaub. Ich habe heute die Spielzeit der ersten eineinhalb Bands gebraucht, um überhaupt in die Halle zu gelangen, weil ich nur Hände geschüttelt habe, Leute auf mich zugestürmt sind, mit Küsschen oder Bier für mich. Ich fühle mich hier wahnsinnig wohl und das Ruhrgebiet wäre für mich auch die einzige Alternative. Berlin ist meine Heimat, aber wenn ich irgendwo anders leben müsste, würde ich ins Revier ziehen. Ich mag den Menschenschlag und die Mentalität.

Peter Hook And The Light live / Foto: Daniela Vorndran
Und was hält dich davon ab, häufiger in den Ruhrpott zu kommen?
Mein Job ist sehr anstrengend und ich gurke viel durch die Gegend. Ich muss zugeben, dass ich auch das Älterwerden merke und deswegen bin ich einfach froh, wenn ich ein freies Wochenende habe, auch mal mit dem Arsch auf der Couch bleiben kann. Musikhören, zum Beispiel, schaffe ich auch nur noch in ganz ruhigen Momenten. Abgesehen von kurzem Durchskippen. Ich habe es zum Beispiel bis jetzt nicht geschafft, mir die neue Agent Side Grinder mit Sinn und Verstand anzuhören. Und ich bin mit denen seit ihrem ersten Deutschlandkonzert verbandelt. Freie Zeit ist das rarste Gut, wenn man älter wird, und das schönste Geschenk, das man einander machen kann.
„Beim Major-Label war ich nicht nur sprichwörtlich das schwarze Schaf.“
Aber generell hast du letzten Sommer die richtige Entscheidung getroffen, als du deinen Job gewechselt hast und von der größten Plattenfirma zu einem kleinen Musikverlag gewechselt bist?
Ja, auf jeden Fall. Das Bekloppte an dieser ganzen Geschichte ist, dass ich die letzten zehn Jahre beim Major-Label nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich das schwarze Schaf war. Ich habe für Künstler PR-Kampagnen verantwortet, bei denen der gemeine New-Waves-Day-Gänger die Nase rümpfen würde. Aber mit einer Sarah Connor hatte ich genauso viel Spaß wie mit The BossHoss oder Helge Schneider. Trotzdem bin ich, vor allem in der Retrospektive, froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. 2019 hat beschissen begonnen, dann habe ich gekündigt, ohne einen Plan B – und konnte mir, aufgrund eines gut gefüllten Karma-Kontos, aus mehreren Angeboten einen Job aussuchen. Und habe mich für den höchstwahrscheinlich unsichersten entschieden. Aber ich bereue gar nichts, fühle mich super und mir geht es so viel besser.
Weil du einfach so – off-business – mal hier sein kannst?
Ja, so wie heute. Das ist für mich wie eine Mischung aus Ferienlager und Urlaub. Hier sind Leute, die kenne ich seit 1991, da war ich zwölf. Ich habe vorhin meinen Freund Jörg getroffen, ein uralter Pott-Electro-Held, der mich kennt, seitdem ich mich mit ganz schlechter Gruftifrisur in den Zwischenfall eingeschlichen habe. Und ich weiß noch ganz genau, dass er 1995 von DJ Junk The Emission eine Kopie des The Process-Albums von Skinny Puppy als Promotape bekommen hat. Wir sind in sein Auto gegangen, haben während des Discoabends 60 Minuten auf dem Parkplatz verbracht und die komplette Platte gehört. Alleine solche Leute hier wiederzusehen, ist total schön.
So ein Tag ist für dich also auch eine Art Erinnerungstour? Da kommt Philipp Strobel von aufnahme + wiedergabe, mit dem du nachher noch bei der Aftershow-Party auflegen wirst, genau richtig, oder?
Phil ist ein uralter Freund von mir. Er hatte damals seinen allerallerallerersten Gast-DJ-Auftritt bei uns im Zwischenfall. Der Junge mit den zwei Gürteln. Er hat immer diese Nietengürtel getragen, die ihm über seinen kleinen knochigen Arsch gerutscht sind. Und er wollte auch auflegen, war immer da und hat nach den Songs gefragt. Mein älterer Bruder Ralf und ich fanden ihn sofort super. Denn jeder, der sich für Musik interessiert, war unser Freund. Das ist bis heute so. Phil hat sich sehr interessiert. Und was er für sich kreiert und was er aus seinem eigenen Antrieb heraus erschaffen hat, davor kann ich echt nur den Hut ziehen. Ich freue mich sehr auf die Party. Ich muss dazu sagen, dass diese DJ-Konstellation auf der Aftershowparty witzigerweise nur deswegen zustande kam, weil Phil und Jürgen Jakob, Ex-Strobelight Records, mich beide Ende letzten Jahres innerhalb von zwei, drei Wochen unabhängig voneinander gefragt haben, ob wir hier nicht mal zusammen auflegen könnten. Daraufhin habe ich mit den Veranstaltern gesprochen und so ist das zustandegekommen.
„Beck’s ist wie eine Depeche-Mode-Party, so ein Konsensding.“
Macht dir das Auflegen noch Spaß?
Mittlerweile mag ich die DJ-Jobs am liebsten, bei denen ich weiß, mit wem ich das mache. Wir haben früher oft mit Leuten hinter den Turntables gestanden, die wir nicht kannten. Irgendwie hat man dann so einen Abend zwar rumgekriegt, aber wenn du das mit Freunden machst, hat das eine andere Qualität. Für mich ist es heutzutage wichtig, eher so was zu machen. Und auch nicht mehr monatlich. Oder wie ganz früher sogar wöchentlich. Es ist für mich heute undenkbar, mich dazu zu verpflichten, jeden Samstag in einem Club aufzulegen.

Im August kommst du noch einmal nach Oberhausen, um zusammen mit deinem Bruder die Pagan Love Songs-Party zu Grabe zu tragen
Ja. Ralf und ich haben zusammen sehr, sehr viel, aber sonst keine andere Partyreihe über 20 Jahre durchgezogen. Für uns war es wichtig, die Party würdevoll ad acta zu legen. Es gibt Dinge, gerade innerhalb der Szene, die totgeritten werden. Darauf habe ich keinen Bock. Wir haben viele Freundschaften im Rahmen dieser Party geschlossen, was fast das Wichtigste daran ist und wofür ich am dankbarsten bin. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, die Abschiedsparty genau so zu gestalten, wie damals, als wir anfingen. Am 27. August 1999 war das eine Party ohne alles, da gab es keine Compilation, keine Live-Band.
Und am 31. August 2019 machen wir das genauso. Kein Schnickschnack. Und wir freuen uns über jeden, der kommt. Ich glaube, an diesem Abend wird es ganz schön emotional werden, zumindest am Ende. Als wir anfingen, war ich 20 – ich habe diese Party die Hälfte meines Lebens veranstaltet. Das ist irre. Wir wollen an diesem Abend auch nicht das Rad neu erfinden. Das soll einfach eine einzige Feierei werden, ohne Angst vor Hits! Das heißt aber jetzt nicht, dass ich danach nichts mehr mache, sondern eher, dass ich mir den Kopf freihalten und tabula rasa machen möchte.
Darauf ein Prost ... mit einem Köpisteiner oder was das hier ist.
Cheers!
Interview: Catrin Nordwig
www.facebook.com/paganlovesongs
www.facebook.com/new.waves.day
Preview New Waves Day 2020:
Live: DAF, Gene Loves Jezebel, Blancmange, Whispers In The Shadow u.a.
Aftershow-Party: Thomas Thyssen, Philipp Strobel, Jürgen Jakob