Dass Kälte durch Wände kriecht, stellten Grauzone bereits vor Jahrzehnten fest. Philipp Münch lässt das völlig kalt.
Der Schnee von gestern interessiert ihn einfach nicht, denn Kälte kriecht längst nicht mehr nur durch Wände, sondern in immer mehr Köpfe und Herzen hinein. „Ich habe vergessen, wie es ist, Mensch zu sein“, verlautbart Münch in Undead, einem der zehn Tracks seines am 11. Juni 2019 bei ant-zen veröffentlichten Albums Cinema Bizarre.

Vergesslichkeit kann durchaus heilsam sein. Wer unaufhörlich mit ansehen muss, wie persönliche Werte mehr und mehr dem Konsum nutzloser materieller Güter und der eitlen Zurschaustellung vergänglichen Zierrats geopfert werden, der fasst sich zwangsläufig irgendwann an den Kopf und fragt sich: Wer möchte noch Mensch sein in einer Welt, in der einzig das technisch Machbare, das künstlich Optimierte zu definieren scheint, was das Menschsein ausmacht?
Es ist dieselbe Welt, in der um die Sicherheit ihrer persönlichen Daten angeblich besorgte Individuen den selbst heraufbeschworenen Überwachungsstaat der Zukunft in vorauseilendem Gehorsam umarmen, indem sie ihre Kühlschränke und digital optimierten Erwachsenenspielzeuge mit den Lautsprechersystemen der von ihnen bevorzugten Versandwarenhändler vernetzen. Ist das wirklich klug?
Erstaunlicherweise wird einem trotz der wohlinszenierten Eiseskälte, mit der Münch seine Zuhörer umgarnt, blitzschnell regelrecht warm ums Herz, denn behind The Curtain, hinter der häufig zitierten Fassade, dringen interessante Gedanken ans Licht, eingebettet in ein Labyrinth elektronischer Strukturen bestehend aus Ambient, Industrial und einer teilweise verspielt wirkenden Experimentierfreude.
Philipp Münchs Cinema Bizarre ist der imaginäre Soundtrack eines bedrohlich wirkenden Untergangsszenarios. Möglicherweise ein Versuch, zum Nach- und Mitdenken anzuregen, oder? „Ich denke nur, was andere wollen, dass ich denke“, so lautet ein der psychischen Gesundheit tendenziell eher abträgliches Mantra, das Münch in Undead offenbart. Und weiter: „Ich weiß nicht, wie man Dinge hinterfragt und ja, es ist mir auch ganz egal.“
Very clever, dann ist ja alles gut. Bleiben Sie heiter!
Kai Reinbold
[2019] [ant-zen]

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